Noch ein Tag und eine Nacht
einzige Mensch auf der Welt, dem das aufgefallen ist.
Wir unterhielten uns ausgiebig über unsere morgendlichen Fahrten in der Straßenbahn. Lachend fragte ich sie: »Sag mal, Michela, wie kommt es, dass eine so hübsche Frau wie du keinen Freund hat? Was ist dein Problem? Wo ist der Werksfehler, den man leider erst nach einer Weile entdeckt? Raus mit der Sprache.«
»Also‚ das ›eine so hübsche Frau‹ will ich ja lieber überhört haben, aber ich antworte dir trotzdem.«
Da, ich hatte es gleich am Anfang verpatzt, trotz bester Absichten.
»Ich glaube nicht, dass ich ein Problem mit Männern habe – dafür tausend andere…«
Wenn sie sprach, tat sie es stets mit einem leicht ironischen Lächeln.
»Wenn ich ehrlich bin, ein großes Problem habe ich doch. Ich bekomme nie die Antwort, die ich haben möchte, sondern immer die entgegengesetzte.«
»Inwiefern?«
»Mein Problem ist, wenn ein Mann mir gefällt und ich gern mit ihm zusammen wäre, also ein bisschen mehr als nur ab und zu zusammen in die Kiste gehen, und ich ihm das aus Versehen zu verstehen gebe, dann kann es passieren, dass er sofort zumacht: Er schiebt einen Riegel vor, erklärt mir, dass er sich nicht binden will, und nimmt Reißaus. Dabei wollte ich ihn ja nicht gleich heiraten. Deshalb habe ich gelernt, das zu nehmen, was die Männer mir geben, und nicht mehr zu verlangen. Leider ist das manchmal nicht gerade aufregend. Wenn es umgekehrt einmal so ist, dass ich eine Geschichte unverbindlich ausleben will, finde ich nur Männer, die schon beim zweiten Treffen meinen, sie hätten sich unsterblich in mich verliebt, und mich mit Süßholzgeraspel, peinlichen Gedichten, nächtlichen Gedanken und eindeutigen Versprechungen überschütten.«
»Mich hat auch mal ein Mädchen mit romantischen Gedichten und Phrasen bombardiert… bis ich ihr eines Tages geantwortet und sie offenbar beleidigt habe, denn von da an herrschte Funkstille.«
»Was hast du ihr denn geantwortet?«
»Der Nebel auf den kahlen Hügeln steigt abregnend auf! Jedenfalls haben wir das gleiche Problem. Auch ich habe mir oft gewünscht, Dinge zu sagen oder zu tun, die über das Sexuelle hinausgingen, ohne dass es dadurch automatisch auf die wahre große Liebe hinauslief. Aber sofort kamen die Ansprüche. Bedürfnis nach Sicherheit, Garantien, Versprechen. Forderungen und Erwartungen, die ich erfüllen sollte.«
»Wir sind ganz schön kompliziert.«
»Allerdings. Sag mal, ist New York für dich nur eine Etappe, oder beabsichtigst du, für immer hierherzuziehen?«
»Ich weiß nicht. Ich bin noch nicht lange hier, nach den ersten Anlaufschwierigkeiten fühle ich mich jetzt ganz wohl. Mir fehlt zwar vieles aus dem alten Leben, aber ich bin froh, in dieser Stadt zu sein.«
»Wieso kamst du überhaupt auf die Idee, nach New York zu ziehen?«
»Ich wollte ein wenig Abstand von meinem Leben. Es ist eine amerikanische Firma, für die ich schon in Italien gearbeitet habe, eine Versetzung war kein Problem. Die Gelegenheit schien mir günstig, ich wollte sowieso schon lange einen Schnitt machen und etwas verändern. Ich bin froh über diese Wendung in meinem Leben.«
»Gab es denn einen besonderen Anlass?«
»Nein, mir hat einfach nicht mehr gefallen, wie ich lebte. Wie ich geworden war. Das hatte mich schon länger beschäftigt. Den letzten Anstoß hat letztes Jahr mein Ex gegeben, als er mich fragte, ob ich ihn heiraten wolle. Da habe ich ihn verlassen.«
»Du nimmst ja auch Reißaus! Hast du plötzlich gemerkt, was für ein Blödmann er war?«
»Schön wär’s… das hätte es leichter gemacht. Nein, er war eigentlich perfekt. Paolo ist ein gutaussehender, intelligenter Mann, und er hat mich aufrichtig geliebt. Abgesehen von meinem Bruder meinten alle, er sei ein Goldjunge, ich könne mich von schreiben, so einen wie ihn würde ich nie mehr wieder kriegen. Meine Freundinnen, meine Mutter, meine beiden Schwestern, alle behaupteten, er sei der Richtige. Ich weiß gar nicht, ob es den Richtigen geben kann. Ich denke eher, den Richtigen gibt es nur, wenn man daran glaubt. Wenn man daran glaubt, kann man aus einem Menschen den Richtigen machen. Eine Zeitlang. Obwohl er mir gefiel und ich all seine Vorzüge sah, liebte ich ihn im Grunde nicht. Besser gesagt, ich liebte ihn, aber mehr wie einen Bruder, nicht wie einen Geliebten. Jedenfalls habe ich ihn verlassen, und ich kann dir sagen, es gibt nichts Schrecklicheres, als jemanden zu verlassen, der einen liebt. Man muss sehr stark
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