Noch ein Tag und eine Nacht
Frau. Worin der Unterschied liegt, könnte ich nicht erklären. Es war ein Gefühl, ein Duft, eine bestimmte Art zu sprechen und vor allem zu schauen. Vielleicht ist es der Blick, der aus einem Mädchen eine Frau macht. Ganz bestimmt die Bewusstheit. Ein bewusstes Mädchen ist eine Frau, unabhängig vom Alter. Michela war eine Frau, das sah man daran, wie sie den Raum durchquerte, wie sie die Luft aufwirbelte.
Wir hatten uns unten vor dem Hotel verabredet. Während ich wartete, malte ich mir unser Abendessen in einem kleinen Restaurant in Manhattan aus, gedämpftes Licht, Musik im Hintergrund und Wände in warmen Farben oder aus weißem Backstein. Wir waren für halb zehn verabredet. Das Doma hatten wir gegen sieben verlassen; im Hotel hatte ich die miserable Idee, mich nach der Dusche kurz aufs Bett zu legen. Zum Glück merkte ich rechtzeitig, dass ich am Einschlafen war. Ich floh sofort aus dem Zimmer und vor allem aus diesem riesigen Wattebausch von Bett.
Mein Koffer war endlich eingetroffen, deshalb konnte ich mein Lieblingshemd anziehen. Ich weiß nicht, ob ich diesen Abend ohne eigene Klamotten überstanden hätte. Ich ging hinunter in die Bar und trank einen dreifachen Espresso. Ich hatte Angst, während des Essens einzuschlafen oder, noch schlimmer, dauernd zu gähnen, wie immer, wenn ich müde bin. Wenn ich gegessen und besonders wenn ich dazu auch noch Rotwein getrunken habe, muss ich gähnen. Und wenn mir das passiert, während sie gerade spricht?
Ein Essen um halb zehn Uhr abends bedeutete für mich um drei Uhr morgens. Wenn ich müde bin, schaffe ich es gewöhnlich nicht, lange aufzubleiben. An solchen Abenden kann ich kein Essen-Kino-Sex, eins der drei muss gezwungenermaßen ausfallen. Schon vom Kino allein fühle ich mich dann oft überfordert.
Um kurz nach neun setzte ein Herr mit Schnurrbart und Turban Michela mit seinem gelben Taxi vor dem Hotel ab – der Auftakt unseres ersten gemeinsamen Abends.
Als Erstes drückte sie mir ein Handy in die Hand. »Das habe ich bei meiner Ankunft gekauft, bevor ich das von der Firma bekam. Wenn du willst, kannst du damit telefonieren… Erinnere mich daran, dass ich dir nachher das Ladegerät gebe.«
»Danke.«
Als Nächstes fragte sie mich, was ich essen wolle.
Frauen stehen auf entschlossene Männer, die wissen, wohin sie wollen, hatte zumindest Silvia mal behauptet. Also schlug ich einfach einen guten Kompromiss vor: »Du kennst dich besser aus in Manhattan, deshalb möchte ich es heute Abend gern dir überlassen. Aber nur heute Abend.«
»Hast du Lust auf einen Spaziergang?«
»Ja.«
Wir gingen los, Richtung Greenwich Village.
Kleines hübsches Restaurant mit Musik und gedämpftem Licht? Von wegen…
»Hättest du Lust auf einen Hamburger?«
»Ja, warum nicht?«
Michela führte mich in ein Lokal, in dem es geradezu gigantische Hamburger gab, dazu Pommes, Zwiebeln und Ketchup.
»So was esse ich nicht oft, aber ab und zu tue ich es ganz gern. Und wenn schon, denn schon. Hier machen sie jedenfalls die besten Hamburger Manhattans.«
Das Lokal hieß Corner Bistro und lag in der West 4th Street. Ein altmodischer Ort mit Fernseher an der Wand, in der Ecke hinter der Theke. Nicht sehr gepflegt, aber eindeutig originell. Holztische, die mit eingeritzten Namen übersät waren, wie in einer Paninoteca in der italienischen Provinz. Nirgendwo war etwas Trendiges zu erkennen, weder bei der Bedienung noch bei der Einrichtung. Das Essen wurde auf Papptellern serviert. Ich nahm den klassischen Hamburger, Michela einen Cheeseburger.
Es war der beste Hamburger, den ich je gegessen habe, das muss ich zugeben. Auch wenn ich zur Verdauung ein paar Colas hinterhertrinken musste. Ich bestellte die Cola mit Zitrone, obwohl ich sie eigentlich lieber ohne trinke. Ich mag den Zitronengeschmack zwar, doch beim Trinken verklemmt sich die Scheibe immer zwischen den Lippen, und die Cola passt nicht mehr durch. Mit Strohhalm trinke ich noch weniger gern. Jedenfalls hatte dieses Abendessen mit meiner Vorstellung von unserem ersten gemeinsamen Date nichts gemeinsam; das Lokal war alles, nur nicht romantisch, doch am Ende unseres Abends wurde es trotzdem romantisch. Dank Michela.
Wenn ich eine Frau kennenlerne, die mich interessiert, versuche ich unwillkürlich zu gefallen. Ich möchte Dinge sagen, die ihr gefallen. Möchte etwas aus meinem Leben erzählen, bei dem sie sagt: Das gibt’s doch nicht… genau das habe ich auch immer gedacht, aber ich dachte, ich wäre der
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