Noch ein Tag und eine Nacht
voller Mensch.«
»Ist das jetzt ein Kompliment, oder willst du sagen, ich habe zu viel gegessen?«
»Nein… das heißt: Doch, es ist ein Kompliment. Du bist voll in dem Sinn, dass vieles in dir steckt. Klingt nicht besonders nach Kompliment, ich weiß, aber es soll eins sein.«
Sie lächelte. »Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Das ist aber schon ein ungewöhnliches Kompliment.«
Wir verabschiedeten uns. Sie gab mir das Ladegerät und betrat das Haus. Ich kehrte zu Fuß ins Hotel zurück. Unterwegs grübelte ich die ganze Zeit: Vielleicht hat sie es sich anders überlegt. Vielleicht gefalle ich ihr nicht mehr. Aber warum hat sie mich dann zum Abendessen eingeladen? Vielleicht, um die Sache gleich zu den Akten zu legen. Wie blöd aber auch von mir zu sagen: »Du bist sehr hübsch«… Vielleicht hätte ich es doch versuchen sollen, vielleicht hätte sie ja gesagt.
Ich konnte es nicht erwarten, ins Hotel zu kommen, um Silvia anzurufen und ihr den Anrufbeantworter vollzuquatschen.
Plötzlich kam eine SMS auf das Handy, das Michela mir gegeben hatte: »Das war schön. Danke. Ich weiß, was dich beschäftigt: Die Antwort wäre ein Ja gewesen.«
Tags darauf
Das Telefon klingelte. Michela. Sie fragte, ob ich sie zum Mittagessen abholen wollte. Wie am Tag zuvor stand ich ein paar Stunden später vor ihrem Büro. Wir gingen in ein Lokal in der Nähe. Morandi vini e cucina, 7th Avenue South.
»Was hast du heute Vormittag getrieben?«
»Nichts. Ich bin spazieren gegangen. Nach dem Essen von gestern Abend nehme ich heute wohl besser nur einen Salat.«
»Ich auch.«
»Kannst du eigentlich kochen?«
»Ja, meine Mutter hat es mir beigebracht. Mir und meinen Schwestern. Sie meint, für eine Frau ist das wichtig.«
»Nicht nur für Frauen. Es ist doch was Schönes, kochen zu können.«
»Da gebe ich dir recht.«
»Hast du mit deinem Ex zusammengelebt? Hast du gekocht?«
»Ja, wir haben unter einem Dach gelebt. Und wir haben beide gekocht. Aber zusammengelebt würde ich es nicht nennen, eher zusammenexistiert.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Zusammenleben heißt doch vor allem, das Leben miteinander zu teilen, und das war mir oft zu viel.«
»Und deshalb bist du gegangen?«
»Auch. Aber ich brauchte eine Weile für diesen Entschluss, das habe ich dir ja schon gesagt.«
»Eine Freundin von mir macht gerade das Gleiche durch, nur dass sie auch eine Tochter hat. Es muss hart sein, in einer Wohnung zu leben, in der man nicht mehr bleiben mag.«
»Ja, ziemlich. Aber mit Kindern wird es bestimmt noch mal komplizierter. Ich war an einem Punkt angelangt, dass ich abends froh war, wenn es bei ihm auf der Arbeit spät wurde. Zu Hause versuchte ich, vor ihm ins Bett zu gehen, oder ich saß bis spät in die Nacht auf dem Sofa. Wenn ich vor ihm ins Bett ging, pirschte er sich manchmal an, und ich tat dann so, als würde ich schlafen. Hätte ich wirklich geschlafen, wäre ich irgendwann aufgewacht; stattdessen gab ich komische Klagelaute und Gejaule von mir, bis er es aufgab und einschlief. Er war nicht dumm, er wusste, was los war, aber Verliebte tun immer so, als wäre nichts, und vermeiden panisch gewisse Gespräche, um ja nicht Gewissheit zu bekommen, dass ihre Liebe nicht erwidert wird. Ich fühlte mich furchtbar, wenn ich wiederholt sagen musste: ›Nein, Schatz, es ist nichts, ich bin nur müde und muss zurzeit so viel arbeiten.‹ In so eine Situation will ich nie mehr geraten. Am Schluss kriegte ich schon einen Plural-Horror. Du weißt schon, wenn einen Freunde einladen oder mit einem reden und immer den Plural benutzen: Kommt ihr, geht ihr mit, was macht ihr heute? Und doch war ich lange nicht bereit dazu, ihn zu verlassen. Vielleicht, weil ich zu sehr auf meine Freundinnen und meine Mutter hörte.«
»Aber am Schluss hast du es doch geschafft. Das schaffen nicht alle.«
»Es ist ja auch nicht leicht. Als ich Paolo verließ, bekam ich nicht nur Schwierigkeiten mit seiner Familie, sondern auch mit meiner. Seine Mutter rief mich an und bat mich, es mir noch einmal zu überlegen, ihr Sohn sei ein guter Junge, und auch wenn sie es nie direkt gesagt hat, ließ sie doch durchblicken, dass es auch wirtschaftlich nicht zu meinem Nachteil gewesen wäre, bei ihm zu bleiben. Und meine Familie stieß ins selbe Horn. Meine Eltern fanden mich immer nur seltsam. Sie konnten mit mir nicht richtig etwas anfangen, da ich anders war als sie. Sie haben mich stets gedrängt zu heiraten, sie dachten, die Ehe würde mir ›den
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