Noch ein Tag und eine Nacht
sein. Er wollte etwas von mir, das ich ihm nicht geben konnte. Das Einzige, was ich tun konnte, als Akt der Liebe, war, dafür zu sorgen, dass er nicht noch mehr Zeit mit mir verlor. Es wäre unfair gewesen, mit ihm zusammenzubleiben. Aber wir reden hier über ein Ich, das ganz anders war als ich heute. Ich habe mich im letzten Jahr mehr verändert als in meinem ganzen vorherigen Leben.«
»Er hat dich gefragt, ob du ihn heiraten willst, und du hast ihn verlassen?«
»Ja, so kann man es sagen. Komisch, was? Ich erinnere mich auch noch genau an den Moment. Es geschah im Verlauf eines einzigen Gesprächs. Wir sind vom Paradies seiner Worte in die Hölle der meinen hinabgestiegen. Ich erinnere mich an jeden Satz und jeden Gesichtsausdruck. Ich weiß noch, wie er am Schluss sagte: ›Was, ich frage dich, ob du mich heiraten möchtest, und du sagst nicht nur einfach nein, sondern verlässt mich auch noch? Das hieße ja, wir wären noch zusammen, wenn ich nichts gesagt hätte? Hör zu, Michela… tu einfach so, als hätte ich das nicht gefragt, tun wir so, als ob nichts wäre, vergessen wir das Ganze.‹ Ich habe aber nicht so getan, als ob nichts wäre. Zwei Stunden später bin ich ausgezogen.«
Ich hörte Michela zu, die mir gegenübersaß, und hatte das Gefühl, als würde ich sie schon Jahre kennen. Während sie sprach, stellte ich sie mir nackt vor. Ich wollte sie küssen und mit ihr schlafen.
Diese Bilder lenkten mich ab, und als sie mich fragte: »Und was tust du hier? Was ist das für eine Arbeit, die dich nach New York geführt hat?«, musste sie ihre Frage wiederholen, weil ich nicht zugehört hatte. An meinem Gesicht musste sie es erraten haben.
»Die Arbeit war nur ein Vorwand, ich bin hier, weil ich dich sehen wollte. Aber keine Angst, versteh mich nicht falsch. Ich werde dich nicht bitten, mich zu heiraten.«
»Ich habe keine Angst.«
Nach dem Essen mussten wir erst mal die Hamburger verdauen, aber daraus wurde nichts, denn Michela führte mich in die Magnolia Bakery in der Bleecker Street, wo wir ein Gebäck zum Dessert kauften. Eins für uns beide. Reine Butter und Zucker.
»Ich hoffe schwer, dass du so was nicht jeden Tag isst. Meine Leber schreit nach Rache.«
»Nein, nur heute Abend. Ich wollte dir ein paar von meinen Lieblingsorten zeigen. Sollen wir noch eins bestellen?«
»Möchtest du einen menschlichen Körper platzen sehen?«
Nach einer kurzen Pause fragte Michela: »Weshalb wolltest du mich wiedersehen?«
»Vermutlich, weil du mir gefällst und weil ich oft an dich gedacht habe. Wahrscheinlich war es auch eine Mutprobe, die ich für mich bestehen musste. Ich wollte das Risiko eingehen, mich zu blamieren. Eine Freundin hat mich davon überzeugt, dass es besser wäre, die Tür zu öffnen, auf der dein Name stand. Anhand deiner Büroanschrift hat sie für mich deine E-Mail-Adresse herausgefunden und mich gedrängt, dich zu kontaktieren. Aber dann sagte mir ein Gefühl, gleich herzukommen wäre das Beste. Ich habe dir ja erzählt, dass ich das noch nie für eine Frau getan habe, aber was mich wundert, ist, dass es mir vorkommt wie das Natürlichste auf der Welt. Es kommt mir überhaupt nicht komisch vor. Herzukommen, ohne zu wissen, ob ich dich treffe und ob du dich darüber freust, finde ich seltsamerweise nicht absurd. Ich weiß zwar, dass es absurd ist, aber ich empfinde es nicht so. Ganz schön merkwürdig das alles… Nicht dass ich in dich verliebt wäre oder eine Beziehung wollte oder dass ich denken würde, du wärst die Frau meines Lebens. Ich bin nur einem Gefühl gefolgt, ohne mich sonderlich zu fragen, ob das, was ich tue, richtig ist oder nicht. Vielleicht bin ich nur aus Neugier hier. Ich weiß nicht, warum ich ständig an dich denke, und möchte es herausfinden. Wahrscheinlich reizt mich das, was ich nicht verstehe.«
Ich begleitete sie nach Hause. Sie wohnte in der Prince Street, über einer Bäckerei, der Vesuvio Bakery. Ich wollte sie küssen. Ihr Tagebuch erwähnten wir mit keinem Wort, doch weil ich es gelesen hatte, glaubte ich, dass auch sie mich küssen wollte. Ich war mir sogar sicher, doch sie gab kein Signal.
Ich sah ihr in die Augen, während ich innerlich Blütenblätter zupfte: »Ich versuch es, ich versuch es nicht, ich versuch es, ich versuch es nicht…«
In dem Moment, als ich mich ihr nähern wollte, sagte sie: »Du wirst todmüde sein, besser wir gehen jetzt schlafen.«
»Ja, das ist besser«, sagte ich abrupt. Dann fügte ich hinzu: »Du bist ein
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