Noch ein Tag und eine Nacht
Verlobte gefiel mir, ich mochte ihre Geschichten. Es war schön, ihr zuzuhören. Alles, was ich empfand, kam mir so neu vor.
Brunch (-7)
Am Sonntagmorgen standen wir spät auf, nahmen ein leichtes Frühstück ein und gingen dann in die Rehoboth Spa Lounge, ein Wellnesscenter in der 14th Street Ecke 6th Avenue.
Michela machte Maniküre und Fußpflege, ich eine Fußmassage. Nach den vielen Fußmärschen kam mir das wie gerufen. Die Masseurin schüttete Seife in die Schüssel, in der meine Füße standen, und als der Schaum kurz vorm Überquellen war, nahm sie eine Ampulle und ließ zwei Tropfen einer Flüssigkeit hineintropfen, wodurch sich der Schaum zu meinem kindlichen Erstaunen sofort auflöste. Ein bisschen hatte ich Angst, dass auch meine Füße verschwinden könnten. Die Massage selbst war herrlich. Die Frau hatte Bärenkräfte in den Händen, obwohl sie klein und schmächtig war. Eine Zauberin. Zuerst fühlte es sich an, als würden meine Füße durch Omas Nudelmaschine gedreht. Doch als ich ging, fühlte ich mich leicht wie eine Feder. Ich hielt mich an Michelas Hand fest, weil ich Angst hatte, davonzufliegen wie ein Luftballon.
Danach gingen wir zum Brunch ins Café Orlin in St. Marks Place. Ich bestellte einen Orangensaft, Toast und s crambled eggs, auf alle möglichen Arten zubereitete Kartoffeln und Obst.
Ungekämmt, mit der Sonnenbrille auf der Nase, um ganz sachte in die Welt zu kommen, saß ich an einem Tisch im Freien, sah Michela an und dachte darüber nach, was ich gerade erlebte. Es kam oft vor, dass mir plötzlich bewusst wurde, wie ich sie anschaute, mit einem Gefühl, als würden Zeit und Raum keine Rolle spielen. Sie merkte, dass ich sie beobachtete. Ich fuchtelte mit den Händen und versuchte, mich mit dem Fingeralphabet verständlich zu machen. Zuerst wusste ich nicht mehr, wie ein S ging, aber dann fiel es mir wieder ein. Ich sah ihr in die Augen und formte mit den Fingern den Satz: »Michela, ich bin glücklich. Zum Sterben glücklich.«
Sie lächelte verlegen. Dann stand sie auf und gab mir einen Kuss.
Michela hatte mir eine neue Sicht auf die Welt geschenkt und meinem Leben die Dimension des Spielerischen zurückgegeben. Durch sie hatte ich wieder angefangen zu spielen wie seit einer Ewigkeit nicht mehr. Bevor ich sie traf, war ich überzeugt, Spielen sei nur etwas für Kinder und Künstler. Irgendwo habe ich mal diesen Satz gelesen: Man hört nicht auf zu spielen, weil man alt wird, sondern man wird alt, weil man aufhört zu spielen.
»Weißt du, worauf ich nach einer solchen Völlerei jetzt Lust hätte? Auf eine Zigarette«, sagte ich zu ihr.
»Was, du rauchst? Das hab ich noch gar nicht mitbekommen.«
»Nein, eigentlich nicht. Ist nur so ein Bild, wie im Film, meines Erachtens würde er jetzt eine rauchen.«
»Dann fragen wir doch einfach, ob uns jemand eine gibt.«
»Aber ich rauche doch gar nicht.«
»Du kannst jetzt ruhig eine rauchen, das heißt ja nicht automatisch, dass du zum Raucher oder süchtig wirst.«
»Okay, ich rauche eine… Willst du auch eine, oder raucht in deinem Film nur der Mann?«
»Nein, sie raucht auch, wenn sie will.«
Wir schnorrten zwei Zigaretten, setzten uns gegenüber auf eine Bank und ließen uns Feuer geben; an unserem Tisch durfte man nämlich nicht rauchen, obwohl er draußen stand. Nach drei Zügen sahen wir uns an und drückten die Zigaretten wieder aus. Einfach zu eklig.
Nachmittags gingen wir ins MOMA in der 53rd Street, zwischen 5th und 6th Avenue. Ich schlendere gerne durch Museen, das gibt mir ein gutes Gefühl. Mir gefallen auch die Museumsshops am Ende, wo Postkarten, Kataloge, Bleistifte und jede Menge anderer Krempel verkauft werden. Aber diesmal kauften wir nichts, tranken nur in der Cafeteria einen Tee.
Dann flanierten wir auf der 9th Avenue Richtung Downtown und machten in einer Bäckerei Station. Sie hieß Billy’s Bakery, hatte draußen auf dem Bürgersteig lindgrüne Holzbänke und sah genauso aus wie die, in der wir am ersten Abend gewesen waren. Ich nahm einen Schoko-Muffin. Immer wenn ich daran zurückdenke, habe ich wieder den Geschmack auf der Zunge und den Duft in der Nase. Michela trank nur einen Kaffee. Ein Glück, dass ich in New York so viel laufe, sagte ich mir, sonst würde ich bald dick und fett werden. Wir setzten uns auf die pastellfarbene Bank.
»Als du klein warst, was wolltest du da werden?«
»Tierarzt, und du?«
»Grundschullehrerin.«
»Wow! Wie klug und fleißig wir waren: Keiner von uns
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