Noch ein Tag und eine Nacht
wollte Astronaut werden, oder Ballerina, Fußballprofi, Friseuse…«
»Also haben wir unsere Träume über Bord geworfen – oder sie haben sich mit der Zeit verändert. Weißt du noch, wann du den Plan, Tierarzt zu werden, aufgegeben hast?«
»Nein. Irgendwann erinnerte ich mich daran, dass ich einmal Tierarzt werden wollte, aber wann genau es damit vorbei war, weiß ich nicht mehr. Und du?«
»Ich habe davon Abstand genommen, als meine Schwester plötzlich auch Lehrerin werden wollte. Hast du eigentlich Geschwister?«
»Nein, ich bin Einzelkind.«
»Und deine Eltern leben getrennt?«
»Mein Vater ist gestorben.«
»Das tut mir leid.«
»Das muss es nicht, ist schon viele Jahre her. Er ist von zu Hause fort, als ich noch klein war. Ich glaube, daher kommen auch meine Probleme, mich zu binden… außer bei zeitlich befristeten Beziehungen.«
Wir mussten grinsen.
»Es gibt nicht immer auf alles eine Antwort. Mal ja, mal nein. Vielleicht bist du einfach nicht für eine länger andauernde Beziehung gemacht. Punkt.«
»Ich weiß nicht. Aber ich habe viel darüber nachgedacht. Ich suche gern nach Antworten und grüble gern. Vielleicht hat man vor Dingen Angst, die man nicht versteht, denn was man nicht versteht, hat man nicht unter Kontrolle. Ich glaube, mein Problem ist, dass ich immer noch zu sehr der Sohn meiner Mutter bin.«
»Hattest du das Gefühl, nicht genug geliebt zu werden?«
»Nein, im Gegenteil. Meine Mutter hat mich sehr geliebt, vielleicht zu sehr, sie war immer sehr fürsorglich.«
»Die Tatsache, dass sie fürsorglich war, bedeutet nicht, dass sie dich auch geliebt hat. Im Gegenteil. Vielleicht meintest du eher, dass sie dir nah war. Außerdem hängt auch viel von der zweiten Botschaft ab.«
»Zweite Botschaft, was ist denn das?«
»Die zweite Botschaft eines Menschen. Alle geben eine zweite Botschaft. Meine Mutter beispielsweise wirkt auf den ersten Blick wie ein guter Mensch, und das ist sie auch, aber für mich enthält ihre Art eine zweite Botschaft. Da geht es um Angst, Unterwerfung, fehlenden Mut, Misstrauen gegenüber anderen, Resignation. Obwohl darüber zu Hause nie ausdrücklich gesprochen wird, nimmt das Kind unbewusst auch die zweite Botschaft wahr.«
Ich musste an Silvias Tochter Margherita denken.
»Oft hängen Verhaltensstörungen und Erkrankungen bei Jugendlichen mit dieser zweiten Botschaft der Eltern zusammen«, fuhr Michela fort. »Ich zum Beispiel habe lange unter Magersucht gelitten.«
Wir schwiegen. Ich versuchte dahinterzukommen, was die zweite Botschaft meiner Mutter war, aber mir fiel nur die von Dante ein.
An diesem Sonntag, das weiß ich noch, redeten wir lange über die schlimmste Zeit in unserem Leben. Bei mir die Kindheit, bei ihr die Pubertät. Abends aßen wir zu Hause.
»Was muss ein Mann tun oder sagen, damit dir die Lust vergeht? Hast du so etwas mal erlebt?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, stell dir vor, du gehst mit einem Typ aus und er sagt oder tut etwas, das du so daneben findest, dass er sich damit disqualifiziert.«
»Ach so, Sprüche oder Verhaltensweisen, bei denen mir die Lust vergangen ist… Einmal, da hat mich einer am Telefon ›amore‹ genannt, und das am ersten Abend, und dann kam er mit einem rosafarbenen Plüschfrosch an und sagte, den habe er extra für mich gekauft, weil er die gleichen süßen großen Augen habe wie ich. Mit dem wollte ich danach nichts mehr zu tun haben, obwohl er mir noch wochenlang SMS geschickt hat. Ein andermal bin ich mit einem essen gegangen, und als die Rechnung kam, hat er doch tatsächlich alles fein säuberlich auseinandergerechnet und dann noch betont, aber den Wein, den übernehme er. Das war schlimmer, als wenn ich alles selbst bezahlt hätte, das wär mir lieber gewesen. Und richtig nervig fand ich schon immer, auch als ich noch jünger war, wenn einer nach fünf Minuten Knutschen sein Ding rausholte und es mir in die Hand legte. Das hat mich immer schon genervt, auch wenn mich der Typ interessierte. Doch egal was für ein Spruch, auf jeden Fall hängt es davon ab, wer ihn sagt, in welchem Zusammenhang… Und du? Was möchtest du von einer Frau nie hören?«
»Außer ›Ich bin schwanger‹?«
»Außer ›Ich bin schwanger‹.«
»Also… die Frage, die alle Frauen stellen, wenn sie sich mit einem Mann wohl fühlen.«
»Nämlich?«
»Machst du das bei allen Frauen so?«
»Und was antwortest du dann?«
»Frauen? Welche Frauen? Du bist die einzige Frau in meinem Leben.«
»O ja, das ist
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