Noch ein Tag und eine Nacht
hinterher anbaggerten. Als wir schon zusammen waren. Klingt komisch, sicher, aber sie faszinierte mich, und es war alles ganz natürlich. Kelly lächelte immer, und ich verliebte mich jeden Tag aufs Neue in sie, zwischen schmutzigen Pfannen, Tellern, die abgetrocknet, und Gemüse, das geputzt werden musste.
Damals gab es noch keine E-Mails, wir hatten nur unsere Wohnadressen, und ein paar Monate nach meiner Rückkehr nach Italien verloren wir uns aus den Augen. Später ging sie nach Australien. Das ist viele Jahre her, und auch wenn ich mich manchmal kaum noch an ihr Gesicht erinnere, empfinde ich immer noch eine tiefe Zuneigung und große Sehnsucht, wenn ich an sie denke. Ich würde sie gern einmal wiedersehen, auch wenn wir uns vielleicht gar nicht wiedererkennen würden.
Sie führte mich oft auf einen Friedhof, wo wir uns auf eine Bank setzten und unterhielten, als ob wir im Park wären. Es sei ihr Lieblingsort in London, meinte sie. Anfangs fand ich das grotesk, aber dann merkte ich, dass der Ort tatsächlich etwas Magisches hatte, etwas Verführerisches. Immer wenn ich später wieder mal in London war, machte ich einen Spaziergang über diesen Friedhof. Dank Kelly heulte ich nun nicht mehr, wenn ich mit Oma telefonierte.
Nach der Londoner Erfahrung bin ich oft allein verreist. Meist mehrere Monate lang. Ich suchte mir eine Arbeit und mietete mir irgendein Loch zum Schlafen. Meine Sommerferien verbrachte ich häufig im Ausland. Paris, Madrid, Prag, Berlin. Immer noch mit dem Adrenalin des Abenteuers, doch ohne die Angst und die Tränen von London. Ich studierte, und im Sommer arbeitete ich. Manchmal jobbte ich auch im Winter, damit ich meiner Mutter nicht auf der Tasche lag.
Bei meiner Ankunft in einer neuen Stadt wusste ich nicht viel über sie. Dafür war ich voller Neugier. Ich war neugierig auf die Gesichter der Menschen, die ich kennenlernen würde, ich stellte mir das Haus vor, in dem ich wohnen, das Mädchen, mit dem ich schlafen würde. Denn früher oder später würde ich mit einem Mädchen schlafen. Wer allein reist, vögelt immer. Das Leben war zu meinem Lieblingsbuch geworden, der Film, den ich unbedingt sehen wollte, die schönste Geschichte überhaupt. Das Leben ist die mächtigste Droge der Welt.
Vor der Abfahrt sagte ich allen Freunden, sie sollten mich besuchen kommen, weil ich dachte, dass ich mich dann weniger allein fühlen würde. In den ersten Tagen, wenn ich noch keine Freundschaften geschlossen hatte, rief ich zu Hause an; ich lebte im Ausland, aber ich war wie ein Drachen, ein unsichtbarer Faden verband mich mit zu Hause. Doch sobald ich jemanden kennengelernt und angefangen hatte, die Sprache zu lernen, begann ein anderes, neues Leben, losgelöst von meinem. Und dann wollte ich nicht mehr, dass jemand mich besuchte. Wenn doch jemand vorbeikam, war ich froh, wenn er nach zwei Tagen wieder abreiste. Das Zusammensein mit den alten Freunden war wie eine Rückkehr in jenes Leben, von dem ich eine Auszeit genommen hatte. Später fuhr ich einfach los und sagte keinem was. Es kam nämlich vor, dass ich vor lauter Ankündigen und Ausmalen bei der eigentlichen Abfahrt das Gefühl hatte, als hätte ich die Reise schon hinter mir. Indem ich darüber redete, erlebte ich die zukünftigen Eindrücke schon vorher, und die Gegenwart wurde zur Vergangenheit. Ich hinkte sozusagen mir selbst hinterher.
An diesem Tag in New York kehrte ich abends gegen sieben in die Wohnung zurück, um zu kochen. Michela musste länger arbeiten. Als sie kam, setzte ich das Wasser für die Pasta auf. Der Sugo war schon fast fertig. Die Speisenfolge hatte ich am Telefon mit Silvia festgelegt. Ich bat sie um einen Tipp, und sie riet mir zu einem einfachen Abendessen: »Nicht übertreiben«. Neben der Pasta bereitete ich ein Gemüse mit Olivenöl und Zitrone vor, außerdem Salat und Tomaten-Basilikum-Bruschette. Den Wein hatte ich schon entkorkt, damit er sein Bukett entfalten konnte. Wir tranken sofort ein Glas und probierten auch von den Bruschette. Ein leichter Aperitif: Tomate, Basilikum und Küsse mit Weingeschmack. Vor dem Küchenfenster stand die Vase mit den Blumen, die ich gekauft hatte. Ein paar Kerzen, die ich in der Wohnung gefunden hatte, brannten. Durchs Fenster sah man das gegenüberliegende Haus. Ein typisches Haus in Manhattan, rote Ziegel, Feuertreppe, genau wie im Film.
Aus den kleinen Boxen meines Laptops rieselte eine musikalische Auswahl, die ich eigens für unseren Abend zusammengestellt hatte. Nur
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