Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
Vom Netzwerk:
empfindest oder wie du dich mir gegenüber verhältst, sondern wie du im Leben zurechtkommst.«
    »Was soll das heißen? Ich verstehe dich nicht. Heißt es nicht immer, Kinder seien eine Frucht der Liebe?«
    »Kann sein, aber ich sehe das anders. Wenn ich mit dir ein Kind machen würde, dann bestimmt nicht, weil du mich liebst.«
    »Warum denn sonst?«
    »Als ich zwanzig war, hätte ich mit meinem Freund ein Kind gemacht, weil ich ihn liebte. Weil ich damals noch an Märchen glaubte. Aber jetzt ist es anders. Jetzt fühle ich mich reif für ein Kind, und deshalb suche ich nach einem Mann, mit dem ich zusammenleben und diese Erfahrung teilen kann. Aber dazu muss man nicht verliebt sein, im Gegenteil, so wie ich es sehe, ist es manchmal besser, wenn man nicht verliebt ist. Verliebte sind nicht sehr zuverlässig.«
    Das kam mir ziemlich absurd vor. Von einer Frau hatte ich eine solche Argumentation noch nie gehört.
    »Ich möchte, dass der Vater meines Kindes männliche Qualitäten hat, die über seine Gefühle für mich hinausgehen. Dem Kind gegenüber wäre es doch egoistisch, wenn die Liebe zu mir für seinen Vater an erster Stelle stünde. Paolo beispielsweise hat mich, glaube ich, mehr geliebt als jeder andere, trotzdem habe ich nie daran gedacht, mit ihm ein Kind zu machen. Als Vater meiner Kinder kam er für mich einfach nicht in Frage. Sieh mal, eine Frau kann einen Mann lieben, ein Verhältnis mit ihm haben und trotzdem sehr genau wissen, dass es in Ordnung ist, solange es nur sie beide betrifft. Paar sein ist eine Sache, aber Kinder haben eine ganz andere. Dabei kommt es nicht darauf an, dass einer verliebt ist, sondern dass er mutig ist. Wenn er zusätzlich auch noch verliebt ist, umso besser. Dich mag ich, weil du so bist, wie du bist. Weißt du eigentlich, warum ich dich unbedingt näher kennenlernen wollte? Der Grund war eine freundliche Geste von dir, und zwar an dem Tag, als wir zusammen in der Bar waren und zum ersten Mal miteinander gesprochen haben.«
    »Was denn?« Ich öffnete die Augen, und das Tempo des Gesprächs normalisierte sich.
    »Du hast einer älteren Dame die Tür aufgehalten und ihr geraten, sich gut einzupacken, weil es kalt sei. An der Art, wie du das gesagt hast, konnte man erkennen, dass es für dich normal war. In der Straßenbahn warst du auch immer der Einzige, der für ältere Menschen aufstand, und dabei hast du dich nie beifallheischend umgesehen. Solche kleinen Aufmerksamkeiten sind für dich normal, denn du magst die Menschen. Ich mag deine Intelligenz, deine Loyalität, deine Ehrlichkeit. Und außerdem zeigst du ganz offen deine weibliche Seite.«
    »Meine was?«
    »Du bist ein sehr weiblicher Mann, und das gefällt mir, ich mag deine Sensibilität und dass du dazu stehst.«
    »Du willst also ein Kind mit einem sensiblen, weiblichen Mann? Du bist bekloppt.«
    »Viele meinen, Männer dürften nicht sensibel sein, das wäre unmännlich.«
    »Sensibel, weibliche Seite, ich verstehe nicht ganz, was daran so männlich sein soll.«
    »Weil du weiblich und sensibel mit effeminiert und schwach verwechselst. Sensibilität hat mit Schwäche nichts zu tun, und weiblich ist nicht effeminiert. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge.«
    »Und woran erkennt man nun meine Weiblichkeit?«
    »Daran, was dich im Leben interessiert, an deiner Sensibilität, an der Aufmerksamkeit für bestimmte Dinge, daran, dass du nie versucht hast, den Macho zu spielen, sondern immer einfach du selbst bist. Erinnerst du dich, wie wir zusammen geduscht und uns zum ersten Mal nackt gesehen haben?«
    »Ja.«
    »Glaub nicht, dass es für eine Frau einfach ist, sich nackt zu zeigen. Für mich jedenfalls nicht. Damals habe ich gemerkt, dass es dir genauso ging, aber du hast sofort angefangen, deine physischen Mängel aufzuzählen und dich selbst zu ironisieren. Das ist typisch weiblich. Mit dieser Selbstironie hast du es geschafft, deine Hemmungen zu überwinden, ohne sie totzuschweigen. Gerade die vielen kleinen, unbewussten Handlungen haben mir gezeigt, wie sehr ich dich mag. Und einen wie dich hätte ich gern als Vater meiner Kinder. Das ist alles. Selbst wenn wir uns nach ein paar Jahren vielleicht nicht mehr so heiß und innig lieben würden, bliebst du doch immer der Vater meiner Kinder, deshalb ist das mit der Liebe auch nebensächlich. Viel entscheidender als die Frage, was für ein Paar wir sind, ist, was für Menschen wir sind. Wichtig ist, dass wir miteinander sprechen, uns verstehen und aufeinander

Weitere Kostenlose Bücher