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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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eingehen können. Deshalb ist es auch nicht wichtig, was du für mich empfindest, du müsstest eher herausfinden, ob du mit meiner Art zu denken, zu leben und mich zu verhalten und vor allem mit meinen Überzeugungen zurechtkommst. Für unsere Beziehung ist es viel wichtiger zu wissen, was du mir alles sagen kannst und was du lieber für dich behältst, weil du glaubst, ich würde es nicht verstehen, mich darüber aufregen, beleidigt oder verletzt sein. Wenn du dann immer noch verliebt bist, umso besser, aber bei einem Kind geht es um weit mehr als um unsere Beziehung.«
    Obwohl mir ihre Ausführungen ziemlich seltsam vorkamen und ich einiges davon wahrscheinlich gar nicht verstanden hatte, schmeichelte mir doch vor allem die Auflistung der Dinge, die ihr an mir gefielen.
    Auf mich wirkte Michela wie ein faszinierendes Chaos. Eine Frau wie sie war mir noch nie begegnet. Deshalb kam uns auch das übliche »Ich liebe dich« nicht über die Lippen. Denn für das, was zwischen uns lief, fanden weder sie noch ich eine passende Bezeichnung. Ich wusste nur, dass es anders war als alles, was ich bisher erlebt hatte. Das wäre meine Antwort gewesen, wenn Michela mich jetzt gefragt hätte, was mir an ihr gefiel. Doch sie schloss nur die Augen und sagte nichts. Schweigend lagen wir in der Wanne und hingen unseren Gedanken nach.
    Nach dem Baden gingen wir in ein merkwürdiges Lokal, wo Michela schon vor drei Tagen einen Tisch bestellt hatte, weil man sonst keinen Platz bekommen hätte.
    Als wir aus dem Hotel kamen, trafen wir überraschend auf Alfred, der an diesem Abend ganz gegen seine Gewohnheit immer noch die Stellung hielt. Als wir ihm einen Dollar gaben, sagte er: »No joke… tonight for you just the truth. You’ve made a supernova. Believe me.«
    Lächelnd gingen wir davon.
    Von draußen sieht The Corner in der Kenmare Street aus wie ein ganz normales Lokal, doch was man von außen sieht, ist nicht das Restaurant. Das eigentliche Restaurant ist versteckt. Am Eingang steht ein junger Mann mit einer Liste der Reservierungen. Wenn man auf der Liste steht, öffnet er eine kleine Tür und schickt einen die Treppe hinunter, an der unten wieder jemand steht, der noch einmal nach dem Namen fragt. Erst wenn man diese Kontrolle passiert hat, kommt man endlich rein, doch um zu den Tischen zu gelangen, muss man durch die Küche, zwischen Herden, Pfannen und Köchen hindurch. Ziemlich mysteriös das Ganze. Schließlich gelangt man in den eigentlichen Gastraum, ein altes Kellergewölbe voller Kerzen und merkwürdiger Gemälde. Das Lokal heißt La Esquina, die spanische Übersetzung von the corner.
    Die mexikanische Küche, die hier serviert wird, ist wirklich gut. Ebenso wie die Margaritas.
    Ich hatte einen tierischen Hunger. Wenn ich ein Bad nehme, kriege ich Hunger, und wenn ich beim Baden Sex habe, verwandele ich mich in einen Werwolf. Nachdem wir bestellt hatten, kam zuerst nur mein Gericht. Beim Anblick des Tellers lief mir zwar das Wasser im Mund zusammen, aber ich wartete, wie es sich gehört. Irgendwann fragte ich nur: »Was hast du denn bestellt, vielleicht ein hundertteiliges Puzzle oder was?«
    Als wir gingen, mussten wir wieder durch die Küche, wo wir den Köchen ein Kompliment machten. Auf der Treppe kamen wir ganz schön ins Schwitzen, denn nach diversen Margaritas und Bieren kamen uns die Stufen viel steiler vor als zuvor. Als wir endlich oben waren, sagte Michela: »Vielleicht schenken sie uns nach dieser Anstrengung ja zur Belohnung ein Plüschtier.«
    Wir waren ziemlich voll. Wir überquerten die Straße und setzten uns einen Augenblick auf eine Bank.
    An diesem Abend übernachteten wir nicht gemeinsam. Wir waren beide ein bisschen durcheinander. Irgendwie war alles, was in den letzten Tagen auf uns eingestürmt war, ein bisschen zu viel gewesen. Wir brauchten beide ein wenig Ruhe, um die Eindrücke zu verarbeiten und wieder Ordnung in unser Leben zu bringen. Was wir erlebten, war kein einfaches Verliebtsein, sondern etwas vollkommen Neues. Es war, als hätten wir gerade entdeckt, dass es auch ohne Verliebtheit oder Liebe im klassischen Sinn ein Feld gab, das aus Aufmerksamkeiten, Gefühlen und Entdeckungen bestand, die man erleben, teilen und schenken konnte. Wir waren nicht im Begriff, eine Beziehung aufzubauen, wir waren schon mittendrin.
    Einen solchen Sturm der Gefühle hatte ich noch nie erlebt, noch nie erfahren, wie es ist, einen Menschen »lieben zu lernen«. Ein solches Bedürfnis zu geben, zu empfangen,

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