Noch einmal leben
Haie hier sein.“
Kravchenko in Noyes’ Kopf lachte.
- Na, siehst du es? Wart’s nur ab!
„Nein“, flüsterte Noyes. „So weit wirst du es nie bringen!“
Risa Kaufmann stürzte aus der Gruppe. Sie hatte schweigend bei den anderen gestanden und war sichtlich durch Owens’ irrationales Verhalten aus der Fassung gebracht. Jetzt rannte sie wie ein sonnengebräunter, nackter Kobold behende über den Strand, sprang ins Wasser und schwamm rasch auf das Riff zu. Sie befand sich mehr unter als über dem Wasser. Nur hier und da tauchte ein Fuß aus dem Wasser auf, ein nacktes Hinterteil oder ein Schulterblatt. Endlich erreichte sie Owens. Er stand aufrecht im knietiefen Wasser und wollte gerade einen weiteren wahnwitzigen Sprung auf das Riff machen. Dunkelrotes Blut floß unaufhörlich durch die dichte Haarmatte seines Körpers. Risa kletterte zu ihm hoch, bekam ihn zu fassen, wirbelte ihn herum und packte ihn fest. Ihr kleiner Busen berührte seine haarige Brust. Rasch stieß das Mädchen den verwirrten, blutenden Mann von den scharfen Korallenbänken des Riffs fort und schleppte ihn durch das klare, grüne Wasser bis zum Strand. Owens war gerettet. Beifall brandete auf.
Im gleichen Moment explodierte für Noyes der Himmel, die Sonne schien vom Firmament zu stürzen. Er schnappte nach ihr und verschlang sie. Da die Halluzination immer stärker wurde, sackte er zusammen. Er wurde zum gepeinigten, jammernden Opfer eines unbezwingbaren Angriffs. Die Welt um ihn herum versank in Dunkelheit. Seine Glieder zuckten unkontrolliert. Kravchenko heulte vor Vergnügen auf.
Noyes spürte die Wärme eines weiblichen Körpers auf seiner Haut.
Elena Volterra stützte seinen Kopf. Er bettete ihn an die üppigen Rundungen ihrer Brüste und schluchzte.
„Bringt ihn in den Schatten“, sagte eine Stimme.
Noyes blinzelte mehrere Male. Er klammerte sich verzweifelt an Elena. „Ich heiße Kravchenko“, sagte er, „James Kravchenko.“
„Kravchenko ist tot“, erklärte ihm Elena. „Sie sind Charles Noyes.“
„Ja, ja, ich bin Charles Noyes. Kravchenko ist tot.“
„Ruhen sie sich jetzt aus“, flüsterte Elena. „Ganz ruhig bleiben.“
„Ausruhen, ja, ich bin Charles Noyes.“
„Sie werden sich bald besser fühlen.“
Eine kalte Ultraschallspritze berührte seinen Arm. Kein Drink, eine Betäubungsspritze, erkannte Noyes. Er sah Buddha-Heruka mit drei Köpfen, sechs Händen und vier Füßen, auf denen er fest stand. Das rechte Gesicht war weiß, das linke rot, das in der Mitte dunkelbraun. Vom Körper ging ein Strahlenkranz aus. Die neun Augen waren weit aufgerissen. Seine Brauen zuckten wie Blitze, seine vorgeschobenen Zähne glänzten. „Ich bin Charles Noyes“, sagte Noyes.
- Gib Elena einen dicken Kuß von mir.
Noyes Augen fielen zu. Er spürte keinen Schmerz mehr.
6
Es war Dienstagmorgen. Risa betrat Francesco Santoliquidos Büro und blieb im Türrahmen stehen. Er war gerade mit der Linken an einem Datengerät beschäftigt, während seine Rechte Eingaben in einen Computer tippte.
Endlich blickte er auf und sagte: „Da ist sie ja, unsere kleine Heldin. Komm rein, setz dich.“
„Sie sind am Wochenende ganz schön braun geworden“, bemerkte Risa.
„Ja, die Tropensonne läßt sich mit nichts vergleichen. Es war eine großartige Party, Risa. Meine Gratulation an dich und deinen Vater. Natürlich hat es einige außergewöhnliche Vorfälle gegeben …“
„Man hat Owens auf einen Sanatoriums-Satelliten gebracht. Er soll einen Monat dort bleiben und so lange in der Schwerelosigkeit schweben, bis er wieder gesund ist.“
Santoliquidos Miene verdüsterte sich. „Sehr, sehr traurig. Aber die Schwerelosigkeit ist eigentlich nicht das richtige für ihn. Er ist der typische Fall für eine Ausmerzung.“
„Ich hätte nicht erwartet, dieses Wort hier zu hören.“
„Ich meine es auch nicht im ideologischen, sondern im rein medizinischen Sinn“, sagte Santoliquido. „Dieser Mann hat sich mehr Identitäten ergattert, als er vertragen kann.“
„Sehr viel mehr.“ Risa wunderte sich etwas darüber, daß der überbeschäftigte Direktor sich die Zeit nahm, das Problem Owens mit ihr zu diskutieren. Damit akzeptierte er sie unbewußt als eine Erwachsene. „Ist eine Zwangslöschung gesetzlich verankert?“ fragte sie.
„Nun ja, wenn ein Fremdbewußtsein eine Bedrohung für die Sicherheit und Integrität des Wirtskörpers darstellt.“
„Na, das braucht hier ja nicht mehr untersucht zu
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