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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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nicht wahr?“
    „So lautet die offizielle Version“, sagte Risa. „Aber Tandy erklärt mir dauernd, daß es so nicht gewesen sein kann. Sie war eine ausgezeichnete Skifahrerin, und ihre Ausrüstung zum Skifliegen – das war ihr eigentlicher Lieblingssport – war mit allen nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen versehen.“
    „Sicherheitsvorkehrungen können auch versagen. Hat sie denn irgendwelche Erinnerungen an die letzten Augenblicke vor ihrem Tod?“
    „Wie sollte sie?“ lachte Risa. „Sie hat sich das letzte Mal zwei Monate vor ihrem Unfall aufzeichnen lassen! Aufzeichnungen werden höchst selten von sterbenden Mädchen am Ort ihres Unfalls gemacht.“
    Wieder blickte Mark verlegen drein. „Stimmt, das war eine dumme Frage von mir. Ich meinte ja auch vielmehr, ob sie überhaupt irgendwelche Verdachtsmomente für einen Mord an ihr hat, oder gibt sie sich lediglich einer Wahnvorstellung hin?“
    „Da sie natürlich keine Beweise hat, muß man vorerst von einer Art Besessenheit ausgehen“, sagte Risa. „Sie hat mich jedenfalls gebeten, Nachforschungen anzustellen, und das will ich tun.“
    „Nachforschungen? Was denn für Nachforschungen?“
    „Ich werde Detektiv spielen und versuchen, den letzten Tag ihres Lebens zu rekonstruieren und den Mann zu finden, mit dem sie im Sommer zusammen Ski gelaufen ist.“
    Mark runzelte die Stirn und sagte: „Damit könntest du dich in ernste Schwierigkeiten bringen, Risa. Wenn du willst, setze ich einen tüchtigen Mann auf die Sache …“
    „Nein, ich will das machen, Mark. Die Geschichte hat mich schon viel zu neugierig gemacht.“
    Risa dachte sich, daß es mittlerweile höchste Zeit war, die Unternehmung anlaufen zu lassen. In der hinter ihr liegenden Woche der Orientierung hatte sie ihre Wohnung aus gewissen Gründen nicht verlassen. Aber jetzt gab es keine schwerwiegenden Gründe mehr, noch länger im Haus zu bleiben. Sie versuchte, aus Tandy Einzelheiten herauszubekommen, die weiterhelfen konnten.
    „Mit wem wärst du aller Wahrscheinlichkeit nach St. Moritz gegangen?“
    - Ich bin mir nicht ganz sicher: Entweder mit Claude oder auch mit Stig.
    „Beides Skiflug-Freunde?“
    - Ja. Und ich war mit beiden im letzten Frühjahr zusammen. Aber das weißt du ja bereits.
    „Hattest du denn Pläne, mit einem von den beiden Skiferien in St. Moritz zu machen?“
    - Woher soll ich das wissen?
    Risa studierte Tandys Erinnerungen an ihren beiden Begleitern. Claude Cillefranche war ein Monegasse, ein Bürger dieses anachronistischen, kleinen Mittelmeerfürstentums, das sich selbst heute noch, wo so etwas als archaisch galt, weigerte, seine Souveränität aufzugeben. Durch Tandys Augen gesehen war Claude groß, breitschultrig, mit dunklem Haar und finsterem Blick. Er hatte eine spitze, scharfe Nase und dünne, grollende Lippen. Claude war etwa dreißig, athletisch gebaut, reich, ein Mann mit ausgeprägtem Geschmack und einer schwermütigen, düsteren Natur.
    Der Schwede Stig Hollenbeck war das genaue Gegenteil von Claude: sonnig und offen, ein schlanker, graziöser Mann Ende zwanzig, blond und hübsch. Risa stellte sich vor, daß Charles Noyes in jüngeren Jahren so ausgesehen haben mußte, wenn auch nicht ganz so groß und schlaksig. Stigs Familie war im Schiffsbau zu Geld und Reichtum gekommen. Der Junge selbst war, wie fast jeder im Bekanntenkreis der verstorbenen Tandy Cushing, ein Mensch, der in seinem ganzen Leben noch nie gearbeitet hatte.
    Tandy war in den letzten zwei Jahren ihres Lebens bei vielfältigen Gelegenheiten mit beiden sexuell intim gewesen. Beide jungen Männer hatten von Tandys Interesse am anderen gewußt, aber keiner hatte je eine Spur von Eifersucht gezeigt. In Tandys Erinnerungen entdeckte Risa keinerlei Hinweis auf eine bevorstehende Gewalttat seitens eines dieser Männer. Dennoch war Tandy davon überzeugt, daß einer von ihnen sie im letzten August nach St. Moritz begleitet und sich dort entschlossen hatte, ihre Ausrüstung zu beschädigen, um sie zu töten.
    „Ich suche die beiden auf und sehe, ob sie mir etwas über deine zwei letzten Monate erzählen können“, sagte Risa. „Mit wem soll ich beginnen?“
    - Stig.
    „Warum er?“
    - Weil Claude so ein finsteres Gesicht hat. Er ist der Typ, der wie ein Mörder aussieht. Deshalb sollten wir mit dem weniger Verdächtigen beginnen.
    Risa fand das amüsant. Aber sie ging auf Tandys Laune ein. Die ganze Angelegenheit kam Risa sowieso irgendwie frivol vor. Von daher brauchte man sich auch

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