Noch einmal leben
und ihre Bereitschaft, mit jedem ins Bett zu steigen, bekannt. Nicht eben der ideale Botschafter. Er hatte Noyes nach Dominica geschickt, um dort Kontakt mit Santoliquido aufzunehmen. Statt dessen war er an Elena hängengeblieben. Vielleicht konnte sie ihm ja trotzdem ganz nützliche Dienste erweisen. Aber Roditis hätte die Sache nur allzu gerne in die eigenen Hände genommen. Ein Fundament war errichtet worden. Jetzt war es an der Zeit, nach New York zu fliegen, Santoliquido in seinem Bau zu stellen und einen endgültigen und vollständigen Antrag auf die Transplantation von Paul Kaufmanns Bewußtsein vorzubringen. Die Zeit verstrich unerbittlich. Santoliquido hatte keinen Grund, die Entscheidung noch länger zurückzuhalten. Und Roditis kannte keinen geeigneteren Bewerber. Sicher besaß Mark Kaufmann die nötige Festigkeit, um mit dem Bewußtsein seines Onkels klarzukommen, aber Mark standen dabei das Gesetz und der letzte Wille des alten Mannes im Wege. Und damit bleibe nur noch ich übrig, dachte sich Roditis.
Am Nachmittag brachte er die Energietransaktion mit den Mexikanern zum Abschluß. Sein Computer errechnete die endgültigen Spezifizierungen für die Transmissionsanlagen. Der mexikanische Computer errechnete das obere Limit, das Mexiko auszugeben in der Lage war. Die beiden Rechenanlagen verhandelten kurz, und um fünfzehn Uhr lag der Vertrag zur Unterschrift bereit. Roditis unterzeichnete mit einem Daumendruck, der mexikanische Energieminister hielt eine fließende Ansprache in miserablem Englisch, und größere Mengen Tequila wurden gereicht.
Eine Stunde später befand sich der Grieche schon wieder in fünfundzwanzigtausend Metern Höhe im Anflug auf New York.
In den acht Tagen seit der Übernahme von Tandy Cushings Bewußtsein war die Welt für Risa Kaufmann ein merkwürdiger und vielschichtiger Komplex geworden. Mit einem Schlag hatten sich ihre Lebenserfahrungen mehr als verdoppelt. Ihr Wahrnehmungsvermögen für menschliche Beziehungen war feiner geworden. Ihre Haltung gegenüber sich selbst, ihrem Vater und der Welt im allgemeinen war jetzt von größerer Toleranz bestimmt. Die Gegenwart des Fremdbewußtseins hatte ihre Perspektive verändert. Sie besaß jetzt zwei Gesichtspunkte, unter denen sie Geschehnisse betrachten konnte, und das machte schon einen gewaltigen Unterschied aus.
Sie fühlte sich etwas schuldig für ihre frühere willkürliche Bosheit. Risa plus Tandy sahen die frühere Risa als unerträgliche kleine Bestie, die grenzenlos egoistisch, kleinlich und exhibitionistisch veranlagt gewesen war. Dazu war dann noch eine ordentliche Portion Sadismus gekommen. Zusammen begriffen sie, wodurch diese Konstellation unangenehmer Charakterzüge entstanden war: aus ihrer Ungeduld, in den Kreis der Erwachsenen vorzustoßen, der seinerseits keine sonderliche Eile an den Tag gelegt hatte, sie zu akzeptieren. Jetzt hatte Risa diesen Übergang hinter sich gebracht, und es war nicht mehr notwendig, ihre Frustrationen dadurch nach außen abzustrahlen, daß sie ihre Umgebung tyrannisierte.
Tandy hatte natürlich auch ihre Nachteile. Risa erkannte ganz deutlich die Fehler ihres Fremdbewußtseins: Trägheit, Oberflächlichkeit und Disziplinlosigkeit. Tandy entstammte einer begüterten Familie, einem der alten Neuenglandgeschlechter. In dieser Familie hatte seit fünf Generationen keiner mehr gearbeitet. Für einen Kaufmann war eine solche Einstellung verabscheuungswürdig und unverständlich. Die Kaufmanns arbeiteten. Sie mochten sicher zu einem Dutzend Parties pro Woche fliegen, sie mochten je nach Lust und Laune einen ganzen Monat auf der Venus verbringen, sie mochten ein Vermögen für Kleidung oder Möbel oder zusätzliche Transplantationen ausgeben – aber sie arbeiteten. Ihr ungeheurer Reichtum erlaubte ihnen jeden gewünschten Luxus, bis auf den des Müßiggangs. Risas Vater verbrachte viele Stunden seines Tages mit geschäftlichen Aktivitäten, die genausogut von hochdotierten Managern erledigt werden konnten. Und Risa selbst hatte einen ausgeprägten Sinn Tür geschäftliche Vorgänge und die feste Absicht, ihren Platz in der Bankerhierarchie der Kaufmanns einzunehmen. Tandy dagegen hatte nie einen Beruf erlernt, besaß keine verwertbaren Fähigkeiten und interessierte sich für nichts anderes als sinnliche Genüsse. Sollte der Cushing-Besitz aus irgendeinem Grund einmal zu bestehen aufhören, bliebe Tandy sicher nichts anderes übrig, als Prostituierte zu werden.
Risa mißbilligte
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