Noch einmal leben
eine duplizierte Transplantation? Nur wenige Leute wußten überhaupt davon, daß die alten Aufzeichnungen immer noch aufbewahrt wurden. Mark selbst hätte es trotz seiner ansonsten weitreichenden Informationen nie erfahren, wenn Santoliquido ihm nicht davon erzählt hätte. Damit hätte Roditis trotz seines angeborenen Mißtrauens nie einen Anlaß, die Wahrheit zu erraten. Er würde sich nur wundern, daß sein schärfster Rivale ihm immer Kontra geben konnte. Und natürlich würde nach Marks Tod der neue Besitzer seines Bewußtseins rasch hinter das Geheimnis kommen, wenn er unerwarteterweise auch noch Paul in seinem Kopf entdeckte. Aber er würde das kaum an die Öffentlichkeit bringen. Das würde höchstwahrscheinlich zur Löschung beider Kaufmann-Identitäten führen. Also würde der Glückliche, der zwei Kaufmanns zum Preis von einem erhielt, alle Anstrengungen unternehmen, das nie bekannt werden zu lassen.
Mark lächelte in sich hinein. Das Telefon klingelte. Er nahm ab. Der Monitor verkündete: „Francesco Santoliquido möchte Sie sprechen.“
Überrascht ließ Kaufmann sich sofort verbinden. „Was ist denn, Frank?“
Santoliquido wirkte jünger und sorgloser als noch vor einigen Wochen. Das Schmuckstück an seinem Hals, das kleine Medaillon mit den winzigen Krustazeen, schien voller Leben zu sein. Die kleinen Wesen hüpften fröhlich herum und reflektierten so die veränderte Stimmung des Direktors. „Ich habe eine Entscheidung betreffs des Bewußtseins deines Onkels getroffen“, verkündete Santoliquido munter.
Kaufmann blieb ganz ruhig. Donahys Zustimmung zur Zusammenarbeit war Marks seelisches Bollwerk gegen alles, was kommen mochte. „So?“ sagte er leichthin. „Wer ist denn der Glückliche? Wohl Roditis, wie nicht anders zu erwarten war, was?“
„Nein.“
„Nein!“
„Ich habe mich tausende Male mit diesem Problem herumgeschlagen, Mark, und mich dabei deiner Denkweise genähert: Roditis besitzt bereits so viel Macht, es wäre ein riesiger Fehler, ihm auch noch Paul zu überlassen. Daraus würde eine Machtkonzentration entstehen, deren Auswirkungen nicht abschätzbar sind.“
„Natürlich.“
„Ich habe ebenfalls die Einwände der Kaufmann-Familie erwogen, die aus deinem Munde kamen.“
„Sehr nett von dir, Frank. Aber was willst du denn nun mit dem alten Paul anfangen? Es können ja eigentlich nicht mehr allzu viele herumlaufen, denen man ihn geben kann. Ich hielte es einfach immer noch für das Beste, Paul ein paar Jahre im Depot zu lassen. Zumindest solange, bis er sich in unserer Welt nicht mehr zurechtfindet und in jeden transplantiert werden kann. Ich …“
„O, er soll aber verpflanzt werden. Und zwar schon bald.“
„An wen?“ fragte Kaufmann wie vom Blitz getroffen.
„In Kürze soll bei uns ein äußerst seltenes Ereignis stattfinden“, sagte Santoliquido. „Ein Dybbuk wird gelöscht, der nicht nur für schuldig befunden wurde, seinen Wirt ausgemerzt, sondern auch vorsätzlich den Tod einer jungen Frau herbeigeführt zu haben.“
„Ja, natürlich, der Fall Tandy Cushing. Risa hat mir alle Einzelheiten darüber berichtet. Aber was hat das denn mit …“
„Sobald Claude Villefranche gelöscht ist, Mark, stehen wir vor dem geistlosen, aber lebendigen Körper von Martin St. John, einem jungen Mann aus vornehmer Familie und von bester Gesundheit. Hast du dir eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was aus solch einem leblosen Körper werden soll?“
„Wieso?“ sagte Kaufmann. „Man braucht doch nur eine von St. Johns eigenen Aufzeichnungen zu nehmen und sie dem Gehirn wieder einzupflanzen. Wäre das denn nicht die einzige logische Lösung?“
„Logisch wäre es, aber es funktioniert nicht. Man nennt so etwas eine Autotransplantation, und eine solche Operation läßt sich nicht durchführen. Das Gehirn stößt eigene abstrahierte Aufzeichnungen ab. Dafür gibt es eine Reihe komplizierter Gründe, die teilsweise mit dem Scheffing-Prozeß, teilweise mit der Physiologie des Nervensystems und schließlich auch mit der Psychologie eines aufgezeichneten Bewußtseins zu tun haben. Ich möchte dich hier nicht mit Details langweilen, aber wir können Martin St. Johns aufgezeichnetes Bewußtsein nicht in Martin St. Johns Körper zurückstecken. Auf der anderen Seite hindert uns nichts daran, ein fremdes Bewußtsein in einen gesunden, vakanten Körper zu transplantieren …“
Mark Kaufmann begriff jetzt, worauf der Direktor hinaus wollte. Und als er es
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