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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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glaubt.
    Ich hatte meinen Samson lange nicht gesehen, und als ich ihn jetzt zu Montfort inmitten seiner Apothekerbüchsen antraf, bei denen er all seine Tage hinbrachte, fand ich ihn dick um die Leibesmitte, sein einst so schönes Gesicht fahl und aufgequollen, die Augen trübe, den Hintern schwer. Und weil es nichts |222| fruchtete, daß Gertrude ihn triezte, er solle sich körperlichen Übungen unterziehen, ja sogar behauptete, er schlafe lieber mit seinen Phiolen als mit ihr (was angesichts der Kinderzahl und der gebieterischen Neigungen der Dame wohl übertrieben war), und ich einsah, daß auch brüderliche Ermahnung nicht helfen und seine Leidenschaft für die Alchemie besiegen würde, wollte ich dieser eine nicht minder starke Leidenschaft entgegensetzen: Ich vertraute ihm, ohne mehr zu sagen, an, daß ich in einiger Gefahr sei, weshalb Quéribus mir auch seine halbe Eskorte dagelassen habe, und drang in ihn, sich mir zu meiner Sicherheit beizugesellen, auf daß wir gemeinsam im Wald von Montfort Patrouille ritten und uns im Fechten, Schießen und Klettern übten, was wir alles beherrschen müßten, sagte ich, um uns verräterischer Angriffe meiner Feinde zu erwehren.
    Aufgerüttelt von der mir drohenden Gefahr, ergab sich Samson den herkulischen Werken wie ein Gottesengel, so daß seine Offizin ganz verwaist wäre ohne den ersten Gehilfen, welcher freilich allem genügte, und sein Ehebett ziemlich erkaltet ohne Gertrudes Wachsamkeit, fühlte sich mein schöner Bruder doch wie zerschlagen, nachdem er den ganzen Tag mit mir über Berg und Tal gestreift war. Doch die Kur wirkte Wunder, denn außer daß er mir in Giacomis Abwesenheit gute und brüderliche Gesellschaft leistete, erneuerten wir auch die Bande unserer von Kind auf großen, gegenseitigen Liebe, die sich durch unseren verschiedenen Stand, unsere unterschiedlichen Interessen, seinen Glaubenseifer, seine Sittenstrenge und unsere entfernten Wohnorte ein wenig gelockert hatten. Endlich sah ich voll Glück, daß er, wieder schlank und durch Übungen gestrafft, zurückfand zur männlichen Symmetrie seines Körpers und zur Jugendfrische seines Gesichts. Sogar seine Sommersprossen, die mich von jeher gerührt hatten, kehrten wieder, und seine blauen Augen glänzten wie früher, als ihn ein jeder, der ihn nur ansah, ins Herz schloß.
    Beinahe alle Nachmittage lud Gertrude ihre Kinderschar samt zwei Ammen und Zara in ihre Kutsche und besuchte uns auf unserem Gut, sofern es nicht regnete oder schneite. Doch schien die Sonne Ende Februar schon warm, und alles erging sich in meinem Mauergeviert im Grase, die Kinder, ihre und unsere, schrien und tollten nach Herzenslust, während die Mütter |223| sich über ihre unaufhörliche Arbeit austauschten, nicht ohne daß Florine und Zara ihr Wort beisteuerten, wenngleich die schöne Zara es nach wie vor mit beiden gesalbten Händen von sich wies, Ehe und Kindersegen zu begehren.
    Eines Tages dann trat mein Sekretär Miroul in das Turmzimmer, wo ich gerne las und schrieb, und meldete, soeben sei mein Schwager aus Paris eingetroffen und erwarte mich im blauen Saal.
    Als ich über den grünen Platz eilte, auf dem die vierzehn kleinen Sioracs lachend und kreischend sich tummelten und balgten, stand da, plaudernd mit Gertrude und Angelina, mein Schwesterchen Catherine. Bei meinem Anblick stieß sie einen kleinen Schrei aus, flog mir, ihren Hochmut vergessend, in die Arme, ganz wie eine Schwester, die nicht Baronin war, und küßte mich, wenn auch vorsichtig in Rücksicht auf ihre Schminke, doch ebenso zärtlich wie einst auf Mespech, wenn ich das schläfrige Kind in meinen Armen die Treppen hinauftrug zu seinem Lager.
    »Schwesterchen!« stammelte ich in meiner Freude, sie nach fünf Monaten wiederzusehen, »meine kleine Catherine!«
    »Klein?« sagte sie, sich von mir lösend, »wie kommt Ihr darauf? Ich bin so groß wie Ihr, vielleicht noch größer!«
    Was, zum Teufel, die Wahrheit war, bei ihren hohen Absätzen und dem perlengezierten Turmbau ihrer schönen Haare, den ein Spitzenkragen à la Elisabeth noch überragte. Als ich zurücktrat, um sie von Kopf bis Fuß zu betrachten, und sie inmitten unserer bukolischen Ländlichkeit in ihrem goldgestickten Brokatkleid sah, prustete ich vor Lachen, und schon wurden ihre blauen Augen wieder schwarz vor Zorn. Sosehr wir uns liebten, waren unsere Reibereien und Streitigkeiten doch zahllos wie die Regentage in der Île-de-France. Und noch mehr lachend, lief ich davon zum blauen

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