Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
Vom Netzwerk:
daß ich ihn mitten in einer Prophezeiung unterbrach, bei der ich für seine Begriffe doch zittern sollte wie Espenlaub.
    »Und kommt das Ende der Welt dann nicht,
    Stürzt doch alles ein: mächtige Reiche
    zerfallen, und große Trauer wird sein.«
    »Ein Glück!« rief ich, indem ich meinerseits aufstand und, den Rücken zum Feuer gekehrt, ihm meinen Arm um die Schultern legte, »Dann, mein lieber l’Etoile, ist Frankreich gerettet!«
    »Gerettet!« sagte er, »woher nehmt Ihr das?«
    »Weil es kein mächtiges Reich ist, keine Besitzungen in Übersee hat, nur die Markgrafschaft Saluzzo in Italien. Nein, nein, mein Lieber, mit dem mächtigen Reich, das zerfallen wird, kann nur Spanien gemeint sein. Und sollte die Weissagung sich wunderbarerweise erfüllen, glaubt mir, wird entgegen dem, was Regiomontanus sagt, die Trauer nicht überall groß sein: nicht in England, nicht in Holland, noch bei den lutherischen deutschen Fürsten, noch in der hugenottischen Schweiz, noch bei Navarra, nicht einmal am Hof des Königs von Frankreich.«
    »Ha! Das ist Eure Auslegung!« sagte er, wollte er sich doch um keinen Preis beruhigen, weil sein Unbehagen ihm so behagte.
    »Es ist meine Auslegung, in der Tat, aber was macht Regiomontanus anderes mit einer Sonnenfinsternis und einer Konjunktion der Gestirne?«
    »Chevalier«, sagte l’Etoile, indem er nun mir seinen Arm umlegte, »obwohl ich besondere Zuneigung für Euch hege und Euer frohgemuter Sinn mich jedesmal erbaut, wenn ich Euch sehe, können Eure Gründe mich doch nicht trösten, zu offenkundig sind die Anzeichen unserer nahen Verzweiflung. Zum Beispiel am vergangenen Sonntag: An jenem Tag legte sich |386| über die Stadt Paris und ihre Umgebung ein so dichter und undurchdringlicher Nebel wie seit Menschengedenken nicht, es war so finster, daß zwei Personen, die zusammen durch die Straßen gingen, einander nicht sahen. Sie mußten Fackeln nehmen, um ihren Weg zu finden, obwohl es erst drei Uhr am Nachmittag war. Und es wurden anderntags in Höfen und Gassen viele Wildgänse, Raben und Krähen gefunden, welche wegen der jähen Finsternis im Fluge gegen Essen und Türmchen geprallt waren.«
    »Mein lieber l’Etoile«, sagte ich, »Nebel ist Nebel, nichts weiter. Aber was ist ein zeitweiliger Nebel im Vergleich mit den Vernebelungen der Guises?«
    »Ha, die und die unserer Ligisten übersteigen wahrlich jede Vorstellung!« sagte l’Etoile mit Bitterkeit. »Hörtet Ihr in Eurer Provinz vom ›glücklichen Sankt-Severins-Tag‹, um es in der Sprache der Liga auszudrücken? Denn für den König war es ein Unglückstag, wollte er doch die drei zügellosesten Pfaffen von Paris festnehmen lassen und scheiterte daran, weil das Volk die Sturmglocke läutete, zu den Waffen griff, sich in einem Haus des Sankt-Severin-Viertels verschanzte und nicht nur den Sergeanten und Kommissaren trotzte, sondern sogar den königlichen Garden.«
    »Was?« sagte ich, »ein Straßenkampf? Hier, in Paris? Wegen ein paar Tonsurierter? Und der König war ohnmächtig und konnte des erregten Volkes nicht Herr werden?«
    »Ha, mein Freund! Mein Freund!« rief l’Etoile und hob die Hände, »es gibt Schlimmeres! Seid Ihr jemals der Montpensier begegnet?«
    »Ziemlich nahe«, sagte ich, ohne mit einer Wimper zu zucken.
    »Ein Dämon, Chevalier! Ein weiblicher Dämon! Eine Teufelin! Eine höllische Furie! Nichts wie Feuer, der Arsch inbegriffen!«
    »Wer wüßte es nicht?« sagte ich, »und wer wüßte nicht, daß sie mittels Briefen die schimpflichen Predigten gegen den König anzettelt?«
    »Also, unser besagter König, Herr und Gebieter bestellt sie ein, schilt und tadelt sie, sagt ihr, daß er alles über ihre Machenschaften wisse, auch daß sie Nachrichten über ihn verfertige und fälsche und diese durch ihre besoldeten Priester verbreiten |387| lasse, daß sie in Paris die Königin spiele und die Stadt gegen ihn aufwiegele, daß er nur zu langmütig gewesen sei, aber daß seine Langmut ein Ende habe und er ihr befehle, hört Ihr, daß er ihr befehle, aus der Stadt zu verschwinden. Worauf sie, ohne einen Ton zu erwidern, nicht einmal die Spur einer Entschuldigung, ihm eine knappe Reverenz macht und stolz und hinkend davonrauscht, sich an den Hals ihrer lothringischen Cousine der Königin wirft, sodann der Königinmutter, die nur mehr auf ihren lothringischen Enkelsohn schwört, dann des Kanzlers von Villequier und der Minister, die sich längst bis auf die Knochen lothringisiert haben. Und nun klammern

Weitere Kostenlose Bücher