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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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schickte ich Miroul gleich morgens aus, Mosca am Châtelet abzupassen und ihm auszurichten, er solle mich gegen Abend aufsuchen, während ich selbst mich zu dem guten Pierre de l’Etoile begab, um der grollenden und rebellischen Stadt den Puls zu fühlen, schließlich hatte dieser die Ohren näher am Hohen Gericht, an der Universität und am Hofe als irgendeiner guten Mutter Sohn in Frankreich.
    »Mein lieber Chevalier«, sagte er schon, als er mich zur Begrüßung umarmte, »alles zerfällt und sinkt dahin: der Erdball, Frankreich und ich.«
    »Ihr, mein lieber Freund!« sagte ich lachend, »für einen Sterbenden seht Ihr mir aber recht gesund und blühend aus.«
    »Ja, meine leibliche Hülle«, sagte er, indem er schmerzlich den Mund verzog und seufzte. »Meine Seele indessen wird meiner Sünden so wenig froh, daß ich den Tod zu sterben und das Leben zu leben fürchte.« Ein Satz, den ich seit sechzehn Jahren mindestens einmal im Jahr aus seinem Mund hörte.
    »Eure Sünden?« versetzte ich lachend, »übertreibt Ihr die nicht an Gewicht und Zahl? Allenthalben schätzt man Euch als großen und ehrenhaften Mann, außer den schnöden Ligisten, was Euch nur zur Ehre gereicht.«
    »Ach, mein Freund!« sagte er und nahm Platz in einem Lehnstuhl, indem er mir den anderen vor einem so großen Kamin wies, daß man darin ein Kalb hätte braten können, und worin mächtige Scheite brannten, was mir sehr behagte. »Mein Freund, jenen mir beigelegten Ruf verdiene ich nicht, wenigstens nicht hinsichtlich der Tugend, die man von einem alten Mann erwartet, welcher, verheiratet und über die Vierzig wie ich, schamlos mit einer kleinen Dirne vögelt, die seiner lacht, seine Börse schröpft und ihn mit dem erstbesten Schelm hintergeht.«
    »Mein lieber l’Etoile«, sagte ich, »lockert Eure Zügel, und Ihr spürt die Trense weniger. Haltet Eurem Gewissen die Sporen fern, und sie werden Euch nicht stechen.«
    »Wollte Gott, ich könnte es! Aber fürchtet Ihr, mein lieber Siorac, denn das Jenseits nicht?«
    »Nicht dermaßen«, sagte ich, »daß ich mir das Diesseits damit versauerte!«
    |384| »Und das Ende der Welt?«
    »Ist es so nahe?« fragte ich, wiederum lachend.
    »Und wie!« rief Pierre de l’Etoile, indem er aufstand und sich den Rücken am Feuer wärmte. »Wir rühren gleichsam mit Fingern dran, da es mit dem Unheilsjahr 1588 unmittelbar bevorsteht, Chevalier.«
    »Wer sagt denn aber, daß uns deshalb die Schrecken der Trostlosigkeit übermannen müssen? Gewiß nur ein Träumer!«
    »Nein, nein! Ein Gelehrter! Ein höchst Gelehrter, der Euch bekannt sein wird: Regiomontanus. Der die Sternenkarten erstellte, nach welchen Christoph Kolumbus seine Route nach den unbekannten Welten Amerikas fand.«
    »Daraus, daß die Sterne uns bei Nacht leiten«, sagte ich, »folgt aber nicht, daß sie unsere irdischen Geschicke bestimmen.«
    »Das glaubt Regiomontanus auch nicht. Er hat berechnet, daß im Februar des Jahres 1588 sich eine Sonnenfinsternis ereignen wird, zu welchem Zeitpunkt die Gestirne sich in der verhängnisvollsten Konjunktion befinden, nämlich Saturn, Jupiter und Mars im Haus des Mondes.«
    »Mag die Konjunktion eintreten, da er sie berechnet hat. Aber warum verhängnisvoll?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Kann es nicht sein«, sagte ich, »daß Regiomontanus Mathematiker und Poet gleichermaßen ist? So daß die prophezeite Konjunktion auf Berechnung beruht, ihre unheilvolle Wirkung aber auf Phantasie? Eine Phantasie, lieber Freund, die nur zu sehr zum düsteren Zustand des Reiches paßt und zu Eurer finsteren Stimmung.«
    »Ich weiß nicht«, sagte l’Etoile, den meine Argumente vielleicht verunsichert, aber nicht überzeugt hatten, soviel leichter ist es, etwas zu glauben, als das einmal Geglaubte zu verwerfen. »Wollt Ihr die Weissagung des Regiomontanus hören? Er hat sie in Verse gefaßt.«
    »Was?« sagte ich lächelnd, »ein Mathematiker, der Verse schmiedet? Hatte ich nicht recht, daß er ein Poet ist?«
    »Hört nur erst«, sagte l’Etoile mit einem Anflug von Ungeduld, indem er die Arme über der Brust verschränkte, »Ihr werdet Euch nicht enthalten können zu zittern, so präzise ist diese Weissagung!
    Tausend Jahre, nachdem die Jungfrau gebar,
    und weitere fünfhundert vergangen,
    wird achtundachtzig ein Wunderjahr,
    bringt Unheil und großes Bangen.
    Und kommt das Ende der Welt dann nicht …«
    »Ha! Ihr beruhigt mich!« sagte ich lachend.
    »Erlaubt mir, fortzufahren«, sagte l’Etoile etwas pikiert,

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