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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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Freuden war sie nicht geschaffen.
    Ich hatte Lord Edward, Graf von Stafford, erst einmal im Leben gesehen, nämlich als er im Vorzimmer der königlichen Gemächer mit knappem Kopfnicken die ihm erwiesenen Verneigungen erwiderte. Seine natürliche Hoheit ging mit hohem Wuchs und einer majestätischen Gestalt einher, breit in den Schultern, straff und gerade wie ein I, ohne jede Spur von Bauch, obwohl er die Vierzig überschritten hatte. Schnurrbart und Kinnbart, beide kurz gehalten, zierten sein längliches Gesicht. Er hatte kühle graue Augen, eine lange Nase und war prächtig, wenn auch nach englischer Mode, gekleidet, das Wams streng geknöpft, der Kragen hoch geschlossen, darüber eine kleine Krause, die Kinn und Nacken rahmte, und als einzigen Schmuck trug er seinen Hosenbandorden, ein goldenes, von einer Sonne umgebenes Kreuz, deren goldene Strahlen je in einer Perle endeten.
    »Monsieur le Chevalier«, sagte er, nachdem ich ihm für seine wohlwollende Hilfe gedankt hatte, »die Zeit drängt, ich kann Euch nur in aller Kürze unterrichten, wie es um Euren Herrn steht. Die Pariser, trunken vom Sieg über ihn, den sie doch nur seiner übergroßen Güte verdanken, bedrängten zur Nacht sogar den Louvre mit einer Barrikade in der Absicht, sich des Palastes und der Person des Königs zu bemächtigen. Da dieser von Guise nicht erwartete, daß er das Volk befrieden werde, nachdem er es zuvor gegen ihn aufgehetzt hatte, und da er andererseits seine Untertanen nicht einem blutigen Kampf aussetzen wollte, beschloß er weise, den Palast mit seinen viertausend Schweizer und französischen Garden zu verlassen und nach Chartres zu gehen. Dies vollzog er in aller Stille gestern nachmittag, ohne Wissen der beiden Königinnen. Er verließ den Louvre durch die geheime Pforte, indem er so tat, als wolle er sich im Tuileriengarten ergehen, begab sich aber in seinen Marstall, wo er aufsaß, und ritt zum Neuen Tor hinaus, das einzige |446| noch in der Hand seiner Truppen verbliebene, suchte außerhalb der Mauern das Weite und schüttelte den Staub dieser undankbaren Stadt Paris von den Schuhen, die er sehr liebte, wie Ihr wißt. Ist es nicht merkwürdig«, fügte Lord Stafford hinzu, »daß er, zum zweitenmal König, zum zweitenmal aus seiner Hauptstadt fliehen mußte, das erste Mal aus Warschau, das zweite Mal aus Paris?«
    »Wird er die Partie nun nicht verlieren«, fragte ich, einen Knoten in der Brust, »da er die Hauptstadt verlassen hat?«
    »Nein«, sagte Lord Stafford. »Ich sage noch einmal: Euer Herr hat einen sehr weisen Entschluß gefaßt. Keine Macht der Welt kann in einer großen Stadt einen Straßenkampf gegen ein bewaffnetes und rebellisches und von den Großen unterstütztes Volk gewinnen, es sei denn mit Kanonen und schwerem Blutvergießen.«
    »Aber«, sagte ich, »was bleibt dem König jetzt außer seinen Schweizern?«
    »Seine Legitimität«, sagte ernst Lord Stafford, »die eine große Stärke ist. Und über die auch der Herzog von Guise sich gegenwärtig nicht hinwegzusetzen gedenkt, der er vielmehr hohen Respekt zollt, unter anderem, indem er Graf von Brissac entsendet, mit mir Rücksprache zu nehmen. Und zu welchem Zweck, das ahne ich. Monsieur le Chevalier, der Graf wartet in meinem Vorzimmer, und da ich will, daß Ihr Zeuge dieses Gesprächs werdet, damit Ihr es Eurem Herrn gegebenenfalls wiedergeben könnt, würdet Ihr mich verpflichten, wenn Ihr Euch in jenes kleine Kabinett zurückziehen wolltet, dessen Tür ich offen lasse, damit Ihr unsere Reden hört, ohne vom Grafen bemerkt zu werden. Seid Ihr einverstanden?«
    »Aber gern, Exzellenz«, sagte ich, »handelt Ihr doch für meine Begriffe sehr freimütig und edel gegenüber meinem armen Herrn, obwohl Ihr, genaugenommen, mit Eurer Gesandtschaft inmitten eines aufrührerischen und Eurer Königin feindlich gesinnten Volkes auch nicht in ungefährlicher Lage seid.«
    »Das Amt schützt mich, weil ich es repräsentiere«, sagte Lord Stafford so überlegen und hoheitsvoll, daß ich dachte, Graf von Brissac werde es mit ihm wohl ein bißchen schwerer haben als mit den armen Schweizern, denen es verboten war, selbst unter einem Hagel von Anfeindungen, zu schießen. »Und vergebt«, fügte er hinzu, »daß ich Euch in diesem fensterlosen |447| Kabinett, bis auf einen unauffälligen Türspalt, des Lichts beraube, aber es bedarf der Vorsicht, der Graf, den ich gut kenne, ist ein Fuchs, und ich möchte nicht, daß er Euch wittert.«
    Kaum jedoch betrat ich das

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