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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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mir diese langen, frostigen Monate, die ich wiederum in der Baronie verbrachte, aber ohne daß mein Samson, Quéribus, Gertrude und die schöne Zara mir Ermunterung und Ermutigung spendeten. Ach, alle Jugend, Schönheit und Fröhlichkeit hatten unsere Mauern jäh geflohen, denn Catherine war in ihren goldenen Träumen unerreichbar, und meine Gavachette hustete und spie und magerte ab durch eine schlimme Erkältung, die ihr zäh in der Brust saß, und sie war seit ihrer Fehlgeburt im März obendrein tief bekümmert.
    Um meinen Vater etwas abzulenken, besann ich mich darauf, seine große, alte Liebe zur Medizin wiederzuerwecken. Unter dem Vorwand, ich müsse mein eigenes Wissen auffrischen, das ohne Praxis roste, verführte ich ihn zur Lektüre und zum Sezieren sowohl der vielen Tiere, die für unsere Tafel geopfert wurden, als auch der armen Teufel, die in diesem harten Winter auf den Wegen hinstarben wie die Fliegen. Und nach einem Vierteljahr solcher fortgesetzten, täglichen Studien sah ich, wie mein Vater wieder zu Frische, Kraft und Straffheit gelangte und sich zugleich der übermäßigen, düsteren Frömmigkeit entriß, in welche er nach Sauveterres Tod versunken war.
    So daß, als wir einmal, von einem Ritt über unser Gut heimgekehrt, vorm Kaminfeuer in der Bibliothek plauderten, ich |74| ihm rundheraus und kühn sagte, daß ich es nicht guthieße, wie er seine Kammertür seit dem Tod des Mitherrn gegen die benachbarte Kammer verschlossen hielt. Damit beraube er Mespech der Söhne und Töchter, die er in seiner Manneskraft noch immer zeugen könne, denn der Herr gebiete in der Bibel, fruchtbar zu sein und sich zu mehren, wie er wohl wisse, habe er selbst doch Sauveterre jenen Absatz des Heiligen Buches vorgelesen und zitiert, wo Jakob bald Rachel, bald Leah, bald seinen Mägden beilag, auf daß sie gebären.
    Ohne hierauf einen Ton zu erwidern, erhob sich mein Vater und wanderte auf und nieder durch die Bibliothek, aber straffen, wie ungeduldigen Schrittes und erhobenen Hauptes, die Hände, wie es sein Brauch war, in die Hüften gestemmt, was ich voll Freude und der Hoffnung sah, daß er endlich zu seiner gewohnten Lebenslust zurückfinden werde.
    »Gewiß«, sagte er, »zitierte ich meinem Bruder Jean diese und noch manch andere, verwandte Stellen des Buches der Bücher. War es aber nicht gotteslästerlich, meine Sünden mit so hoher Autorität zu decken? Und als ich der armen Hirtin beilag, die mir unseren Samson schenkte, war das nicht offenbarer Ehebruch, da Eure Mutter noch lebte und mein angetrautes Weib war vor Gott?«
    »Sicherlich«, sagte ich. »Doch erkennt man den Baum an seinen Früchten: Diesen Fehltritt scheint Euch der Himmel wohl vergeben zu haben, da ihm Samson entsprang, ein schöner Engel, den jedermann liebt und bewundert und den sogar der Onkel, so viele Vorwürfe er Euch vorher auch machte, höher schätzt als Eure ehelichen Söhne.«
    »›Schätzt‹, sagt Ihr«, entgegnete mein Vater, eine Braue hebend. »Ihr sprecht von Sauveterre, als lebte er noch! So lebt er auch noch in meinem Herzen«, fuhr er sinnend fort, »und unaufhörlich rede ich mit ihm im stillen, über alles. Und Ihr habt schon recht, Pierre, daß er, wie ich so manches Mal beobachtete, nicht böse war, daß Mespech an Kindern wuchs und sich mehrte, ganz im Gegenteil. Er rügte meine Fehler, aber was sie erbrachten, liebte er.«
    Worauf ich schwieg, weil ich ihn seinen Gedanken hingegeben sah und nicht darin stören wollte. Wußte ich doch aus eigenem Erleben, welch große Macht das Denken über den Menschen ausübt.
    |75| Seit die Gavachette fest darniederlag, wohnte ich ihr nicht mehr bei, nicht aus Furcht vor Ansteckung, sondern weil die Ärmste so im Fieberfrost glühte und schlotterte, daß ich doch keine Ruhe bei ihr fand. Im übrigen hatte mein Vater erlaubt, in meiner Kammer ein stetes Feuer für sie zu unterhalten, denn ich hoffte, ihr Leiden durch verstärktes Schweißen zu besiegen. Ob es helfen würde, wußte ich nicht, doch da die unerträgliche Wärme mich nun aus meinen vier Wänden vertrieb, flüchtete ich mich in ein kleines Kabinett neben der Kammer Franchous, die ich des Nachts sich auf ihrem Lager drehen und wenden hörte wie eine Crêpe auf dem Feuer, bald weinte und schluchzte sie, bald seufzte sie wie ein Blasebalg, so fühlte sie sich verlassen, seit der Baron von Mespech ihr nicht mehr beilag. Aber die Franchou war ein so rundliches, appetitliches und gutes Weib, daß mein Vater über kurz oder

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