Noch immer schwelt die Glut
erwachte sie aus ihrer Traumwelt.
»Ha, Pierre!« rief sie, »Ihr foppt mich schon wieder!«
»Oh, nein!« sagte ich, »und ich schwöre Euch, daß ich Euch genauso wie bisher lieben werde, wenn Ihr einmal Baronin seid.«
»Ob ich Baronin werde?« fragte sie mit leuchtenden Augen. »Es ist ja nicht«, setzte sie mit ihrem gewohnten Hochmut hinzu, »daß ein Titel mich blenden würde, Mespech ist, was es ist, und unsere Mutter war von altem Geblüt. Aber der Baron ist so liebenswert! Pierre, darf ich Euch einen Gutenachtkuß geben?«
»Wieso fragt Ihr?« sagte ich lächelnd.
Doch anstatt mich zu küssen, schlang sie mir die Arme um die Taille und legte ihren lieblichen Kopf an meine Schulter, und in der Aureole ihrer schönen blonden Haare, die sie zur Nacht gelöst hatte, verharrte sie eine Weile träumend und sinnend, die Lider halb gesenkt über den blauen Augen, den Mund halb offen.
»Alsdann«, sagte sie und seufzte, »gehen wir schlafen. Pierre, |78| ob diese abscheulichen Polen unseren neuen König nicht erschlagen, wenn er den Weg nach Frankreich nimmt?«
»Wo denkt Ihr hin! Die Hand gegen einen König erheben!«
»Oder gegen sein Gefolge?«
»Auch nicht. Geht getrost schlafen, Catherine! Mitte August ist der Baron hier, das wette ich auf meinen Doktorhut. Und wen sollte er heiraten, wenn nicht Euch, die schönste Baronstochter in Frankreich?«
Worauf sie mir ein unschuldiges, vertrauensvolles Lächeln schenkte, zufrieden und schläfrig, war sie doch, obwohl schon ganz Weib, auch noch ein halbes Kind. Diese Dinge gehen eben nicht nach der Arithmetik.
Also begann für Catherine ein langes Warten, das parallel zu dem meinen verlief. Ist es nicht verwunderlich, wenn man es recht bedenkt, wie sehr unsere Gegenwart aus unserer Zukunft gewebt ist, sei es, daß wir sie heiß ersehnen, sei es, daß wir sie fürchten? Und ist es nicht eine große Torheit und Unvernunft, die Tage nicht voll auszukosten, die in unserem kurzen Leben so schnell vergehen, und sie in Hoffnung oder Furcht hinsichtlich der Zukunft zu verbringen?
Meiner armen Gavachette blühten keine Träume mehr von ruhmvollem Ansehen und Müßigkeit, die ihr ein Sohn von mir auf Mespech gebracht hätte. Sie kämpfte mit dem Tod, der sie von dieser Welt dahinraffen wollte, und als sie ihn endlich besiegt hatte und sich fieberfrei von ihrem Lager erhob, war sie so dürr, so allen Fleisches, aller Farbe bar, daß sie ihrem eigenen Gespenst glich. Dergestalt, daß die Maligou, als sie ihre Tochter in der Spülküche auftauchen sah, erschrak.
»Ha, arme Seele!« stieß sie mit tonloser Stimme, Ensetzen im Auge, hervor, »was willst du von mir? Hab ich dir in deinem Erdenwandel jemals Unrecht getan?«
Die Gavachette lebte, aber wie ein Schatten, aß wenig, war immer abwesend, langsam, still, und wenn sie einmal den Mund auftat, dann zag und ohne Stachel, wie wenn die Krankheit ihr mit der Kraft auch das einstige Gift ausgesaugt hätte. Mein Appetit auf sie war dem Mitleid gewichen, auch dünkte es mich klüger, unseren vorigen Umgang nicht wieder aufzunehmen für den Fall, daß der Himmel eines nahen Tages die bekannten Gebete, den Beichtvater von Monsieur de Montcalm betreffend, erhörte und daß Angelina an einem Kind der |79| Gavachette vielleicht Anstoß nähme. Trotzdem besuchte ich sie weiter dreimal am Tag, um sie zu behandeln und ihr Mut zuzusprechen.
Mitte August erhielten wir einen langen Brief von Dame Gertrude du Luc, begleitet von zwei an meinen Vater gerichteten Briefchen, von Samson das eine, von der schönen Zara das zweite, aber beide seltsam anzusehen, als hätte eine Katze sie mit der Pfote hingewischt, so daß mein Vater eine gute Stunde brauchte, sie zu entziffern. Gertrude, die ausführlicher und in reinlicheren Buchstaben schrieb, teilte uns mit, wie schön ihre Hochzeit mit Samson gewesen sei, wie gut sie sich in Montfort-l’Amaury eingerichtet hätten und wie die Apotheke prosperiere, der es indessen ein wenig daran fehle, daß es in Montfort keinen Arzt gäbe, der Rezepturen verschreiben könne. Weshalb Samson unserem einstigen Kommilitonen, dem ehrwürdigen Doktor Merdanson, geschrieben habe, mit dem ich zu Montpellier die Leichen auf dem Friedhof Saint-Denis ausgegraben und seziert hatte (wobei ich, falls der Leser sich erinnert, so unheilvoll auf die schöne Hexe Mangane traf). Dieser Merdanson, ein langer und munterer Bursche, war ein sehr guter Arzt, hochgelehrt, seinen Patienten Tag und Nacht ergeben, und ich
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