Noch immer schwelt die Glut
lang sicherlich wieder zu ihr finden würde, was mich seiner Gesundheit und Munterkeit halber das beste dünkte, denn der Arzt in mir war stärker als der Moralist, und der Leser möge mir’s verzeihen, wenn er hierin anders denkt.
Meine Angelina hatte mir zwei Briefe geschrieben, die ich, ebenso einsam in meinem Kämmerlein, so oft las und wieder las, daß das Papier unter meinen Augen eigentlich hätte zerfallen müssen. Doch nicht, daß diese Briefe mir die erwartete Hoffnung gebracht hätten. Der Beichtiger von Monsieur de Montcalm, dessen Leben anscheinend nur mehr an einem Atemzug hing, hatte noch immer Atem genug, seinen Schutzbefohlenen vor der Hölle zu warnen, die sich unfehlbar unter seinen Füßen auftun würde, wenn er seine Tochter einem Ketzer zur Frau gäbe. Zanges lateinisches Zeugnis, das, wie man sich erinnern wird, bescheinigte, daß ich katholisch getauft war – was der Wahrheit entsprach – und die Messe hörte – was nur drei-, viermal vorgekommen war –, erschütterte den Eifer des Moribunden nicht, er wollte, daß ich vor der Verheiratung in der Kapelle zu Barbentane quasi auf Knien und im Büßerhemd den Irrtümern und Abwegen meines hugenottischen Glaubens abschwor. Und weil meine Angelina wußte, daß ich in Treue zur Partei meines Vaters stand, sah sie ihre einzige Zuflucht im Gebet, auf daß der Himmel den Geistlichen abberufen und dieser endlich seine wohlverdiente Ruhe finden möge. Was sie mit |76| einer Unschuld aussprach, die mich halb rührte und halb belustigte.
Ende Juni, keine zwei Jahre nach der Bartholomäusnacht, erreichte uns die Nachricht, daß Karl IX. am 30. Mai im Louvre verschieden war, nachdem er, wie Pierre de l’Etoile mir später erzählte, von bitterer Reue gequält worden war, daß er bei dem berüchtigten Gemetzel der Unseren zu Paris soviel Blut vergossen hatte, womit er immerhin mehr Herz bewies als seine Mutter, die Mediceerin, die die Sache ohne ein Wimpernzucken ersonnen und beschlossen und ihrem Sohn unter hanebüchenen Lügen eingeredet hatte und seitdem kein bißchen bereute.
»Herr Bruder«, sagte Catherine, als sie abends, eine Kerze in der Hand, in mein Kabinett trat, »ich höre, der König sei gestorben. Ist das wahr?«
»So ist es. Unser Vater hat es vom Seneschall von Sarlat.«
»Friede seiner armen Seele!« sagte Catherine und bekreuzigte sich. Worauf ihr Gesicht vor Freude erstrahlte. »Also kehrt der Herzog von Anjou nun von Warschau heim in sein Reich?«
»Wenn er kann«, sagte ich, »wird er gewiß lieber Frankreich regieren als Polen.«
»Wenn er kann?« fragte sie, die blauen Augen von jäher Angst geweitet.
»Sicher ist es nicht, Catherine, daß seine polnischen Untertanen, nachdem sie so große Mühe aufgewandt haben, einen König zu finden, ihn jetzt ohne weiteres fortlassen.«
»Wie!« sagte Catherine, den Kopf zornig aufgeworfen, »seine Untertanen könnten es wagen, ihn gefangenzuhalten? Ach, boshafter Bruder!« schrie sie, »Ihr wollt mich nur foppen!«
»Nein, nein!« sagte ich lächelnd. »Fragt unseren Vater: Er wird Euch das gleiche sagen. Aber, Schwesterchen«, fuhr ich fort, »ängstigt Euch nicht. Der Herzog von Anjou ist ein großer Stratege. Er wird schon einen Ausweg für sich und sein Gefolge finden.«
Dieses »Gefolge« löschte das »wenn« und beglückte meine kleine Schwester so, daß sie ihre feine Hand auf meine Schulter legte.
|77| »Ha, Pierre!« sagte sie, »wenn ich Euch so ansehe, staune ich, wie ähnlich Ihr dem Baron von Quéribus seid!«
»So sagt man. Nur bin ich längst nicht so schön«, setzte ich lachend hinzu. »Wir beide meinen, daß ich der Entwurf und er das vollendete Bildnis ist.«
»Ja, das ist wahr«, sagte sie.
Ich lachte, was sie aber, ganz ihren Gedanken hingegeben, nicht beachtete.
»Ihr seid eben auch nicht so schön gekleidet«, fuhr sie ganz ernsthaft fort, »weil Ihr nur ein einziges Wams nach der Pariser Mode habt, und das sogar noch von ihm.«
»Ich bin ja auch nicht so reich«, sagte ich, sehr erheitert durch diese Wendung unseres Gesprächs.
»Das stimmt«, sagte sie ernst.
»Und Baron bin ich auch nicht.«
»Gewiß«, sagte sie, »Ihr seid es nicht und werdet es nie werden. Trotzdem«, fuhr sie nach kurzer Überlegung fort, »werde ich Euch immer lieben, Pierre, auch wenn Ihr ein armer Zweitgeborener seid und noch dazu Doktor.«
»Madame«, sagte ich, mich verneigend, »ich weiß Euch unendlichen Dank für Eure gute Gesinnung.«
Hier endlich
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