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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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hat die Lunge durchschlagen. Welch eine Torheit, diesem Räuber nicht das Leben zu schenken! Was zählte das im Vergleich zu Sauveterres und Eurem?«
    »Aber«, sagte ich, einen Knoten in der Kehle, »Ambroise Paré versichert, man könne eine durchschossene Lunge heilen.«
    »Gewiß kann man das. Aber bei einem Mann dieses Alters und mit so schwachem Lebensmut sieht es schlecht aus. Pierre, |69| leih dir im Dorf Karren und Maultier, daß wir den Onkel heimbringen nach Mespech. Er kann nicht zu Pferde sitzen.«
    Ich fand die Leute im Dorf noch zitternd vor Schrecken, doch priesen sie Mespech, denn keiner bezweifelte, daß die Banditen, wenn wir nicht gekommen wären, nach Raub und Plünderung sie alle hätten über die Klinge springen lassen samt Weibern und Pfarrer. Sie waren also erleichtert, daß es nur zwei Tote zu beweinen gab, wenn sie die überhaupt beweinten: den Torwächter Villemont und einen namens Fontanet, der mit einer Pike in der Hand erschlagen worden war, als er seine Habe mit Klauen und Zähnen verteidigen wollte.
    Kaum aber hatten sie mir, unter großem Redeschwall, Karren und Maultier übergeben, da hörte ich einen Schuß, dann einen zweiten, und mein gespitztes Ohr verriet mir den Ort der Schießerei.
    »Männer!« schrie ich, »auf, nach La Fumélie! Sie wollen unsere Pferde stehlen!«
    Und schon stürzte ich zum Dorftor, die Unseren mir nach, da erscholl hinter mir die Stimme meines Vaters und erfüllte den Dorfplatz mit ihrem Donner.
    »Pierre! Ich befehle dir, hierzubleiben! Cabusse, Fröhlich, Jonas, meine Vettern Siorac, eilt ihr hin, aber vorsichtig, meldet euch Petromol mit unserem Ruf! Und daß ihr nichts riskiert! Die Geschichte kostet uns schon zuviel! Besser ein Pferd verlieren als einen Reiter.«
    So beschämt und bekümmert ich auch war, daß mein Vater mich vor unseren Leuten gerügt hatte, sah ich doch ein, daß er es nur aus der Angst getan hatte, mich in diesem Scharmützel zu verlieren, denn, abergläubisch wie alle Soldaten, fürchtete er, ein Unglück komme nie allein. Worin er sich nicht täuschte: Eine Kugel traf meinen Fröhlich, die seinen Helm zerfetzte und ihm ums Haar den Schädel zerschmettert hätte, aber zum Glück nur sein linkes Ohr halb abriß, das ich ihm eine Stunde später auf Mespech wieder annähte, ohne daß ihm Schlimmeres widerfuhr als zur Stunde großes Leiden und nachher eine große Narbe, mit der er vor den Schönen prahlen konnte.
    Sauveterres Verwundung dagegen war alles andere als harmlos. Bei jedem Atemzug trat ihm Blut aus dem Loch in der Brust. Und auch als es mir gelang, den Blutfluß zu stillen, kam er nicht wieder zu Kräften, er hatte hohes Fieber, sein Puls |70| schlug wild, und wegen der schweren Atemnot ging sein Herz oft nur schwach. Drei Tage wichen mein Vater oder ich nicht von seinem Lager, ermahnten ihn, sich so wenig wie möglich zu rühren, nicht zu sprechen, nur in ganz kleinen Zügen zu atmen und Milch und Brühe zu trinken. Was er Punkt für Punkt tat, um uns zu beruhigen, doch ohne an Heilung zu glauben.
    Weil er, unseren Vorschriften gemäß, den Mund nicht auftun durfte, blickte er meinen Vater oder mich, je nachdem, wer bei ihm saß, mit soviel Sanftmut und tiefer Liebe an, daß wir kaum unsere Tränen verhalten konnten. Es war, als fiele seine lebenslange, unerbittliche Strenge beim Nahen des Todes von ihm ab und legte seine empfindsame und unendlich gütige Seele bloß, die jene aus Scham wie aus hugenottischer Sittenreinheit so lange maskiert hatte.
    Am Morgen des vierten Tages war das Fieber gefallen, und der Kranke hatte dank des Opiums geschlafen, das wir ihm am Abend gegeben hatten.
    »Es geht Euch besser, mein Bruder«, sagte mein Vater.
    »Nein, ich sterbe«, sagte Sauveterre mit einer Miene so unumstößlicher Gewißheit, daß mein Vater ihm nicht widersprechen wollte noch konnte.
    »Jean«, sagte er wenig später mit schwacher, doch vernehmlicher Stimme, »du warst in diesen siebenunddreißig Jahren meine einzige Freude auf Erden.«
    Mein Vater, der an seinem Kopfende saß, reichte ihm die Hand, und ich sah, daß Sauveterre sie innig drückte, was mir, trotz aller gegenteiligen Zeichen, für einen Augenblick die törichte Hoffnung gab, er könnte genesen. Doch schnell begriff ich, was es damit war: An diese Hand, die ihn sein ganzes Leben in unwandelbarer Treue begleitet hatte, hielt er sich, um jenen letzten Kampf zu kämpfen, den wir nur verlieren können, und um jene dunkle Überfahrt zu bestehen, die im Tod

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