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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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faßte sie zu meinem Erstaunen nicht, sondern fiel mir wortlos in die Arme, umschlang mich fest, suchte meine Lippen und küßte mich so wild, daß es mir den Atem benahm. Sosehr ich Umarmung und Küsse auch erwiderte und trotz aller seligen Benommenheit konnte ich mich der Überraschung nicht erwehren, |106| daß meine Angelina sich ihrer angeborenen Schamhaftigkeit derart entschlug und unverweilt jener Vereinigung mit mir zustrebte, zu der ich sie erst mit dem Ring am Finger hatte führen wollen. Und weil dieser Gedanke schließlich über meinen Sinnesrausch obsiegte, löste ich ihre Hände von meinem Hals und drängte sie auf Abstand von mir, wobei ich ihr forschend ins Gesicht zu blicken suchte, soweit das Halbdunkel dies erlaubte.
    »Angelina«, sagte ich, endlich Atem schöpfend, »was tust du?«
    »Ihr irrt, Monsieur de Siorac«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr. »Das ist nicht Angelina. Es ist Larissa.«
    Aufschauend erkannte ich an der weißen Halskrause den Jesuiten Samarcas.
    »Wie! Larissa?« schrie ich außer mir und ließ ihre Hände fahren. »Ihr seid Larissa? Welch gerissene und niederträchtige Falschheit! Habt Ihr denn alle Scham verloren?«
    »Monsieur de Siorac«, sagte Samarcas, dessen tiefe Stimme unterm Gewölbe der Pfefferbüchse sonderbar hallte, »besinnt Euch auf Eure christliche Barmherzigkeit. Larissa ist trotz ihres Alters noch ein Kind. In Denken und Betragen ist sie in dem Alter stehengeblieben, in dem man sie ins Kloster sperrte (bei welcher Erinnerung die Ärmste von Kopf bis Fuß zu erbeben schien), fern von Barbentane, fern ihren liebenden Eltern und vor allem ihrer Zwillingsschwester, ohne die ihr gleichsam die bessere Hälfte entrissen war.«
    »Aber, Monsieur«, sagte ich, durch seine Worte mehr bewegt, als ich wollte, »durfte Larissa mich deshalb betrügen? Und bei mir in die Rolle ihrer Schwester schlüpfen?«
    »Sie weiß nicht, daß sie nicht ihre Schwester ist, sosehr wünscht sie sich, es zu sein!« sagte Samarcas in eindringlichem Ton. »Darum schminkt sie verzweifelt die Warze, die sie von Angelina unterscheidet. Monsieur«, setzte er mit einer Bestimmtheit hinzu, der ich nicht zu widersprechen wagte, »Eure Hand!«
    Und während er sie mit der Linken ergriff, nahm er Larissas Kopf in seine rechte Armbeuge und führte meine Finger an ihr Kinn, auf daß ich die Warze ertastete.
    »Fühlt Ihr die Erhöhung?« fragte er. »Ihr werdet sie unter dem Schönheitsfleck, den Angelina an der gleichen Stelle trägt, |107| nicht feststellen. Und hieran könnt Ihr immer, wenn Ihr wollt (dies in drohendem Ton), Larissa erkennen.«
    »Ich bin nicht Larissa!« schrie Larissa, indem sie plötzlich den Kopf hob und mit dem Fuß aufstampfte, »ich bin Angelina! Larissa ist hinterhältig und schlecht, und vom bösen Geist besessen!«
    »Seid still!« sagte Samarcas streng und packte sie von hinten bei den Handgelenken. »Hört auf mit diesen Streichen! Ich dulde es nicht. Soll ich Euch auspeitschen? Oder wollt Ihr wieder ins Kloster?«
    »O nein, nein! Bitte, nicht!« schrie Larissa, indem sie plötzlich erschlaffte und sich Samarcas ganz zu ergeben schien. Worauf er ihre Hände losließ, Larissa sich umwandte und ihn um die Mitte faßte, den Kopf an seine Brust legte und so, einem Kinde gleich, verharrte.
    »Und nun merkt Euch ein für allemal«, sagte Samarcas so sanft, daß ich staunte, und legte seinem Mündel die kräftige Hand auf den Scheitel, »daß Ihr Larissa seid, daß Ihr Euren Leib vor Bosheit hüten sollt und daß Eure Sünde vergeben wird, wenn Ihr sie ernsthaft und aufrichtig bekennt.«
    »Amen«, sagte Larissa leise.
    »Monsieur de Siorac«, fuhr der Jesuit fort, »an dem, was soeben hier geschah, könnt Ihr ermessen, wie sehr Eure Ankunft auf Barbentane diesen armen Kopf verwirrt hat. Weil ich aber nicht will, daß andere in diese Wirrnisse verwickelt werden, und weil diese Familie schon genug gelitten hat: Darf ich Euch bitten, niemandem ein Wort von dieser bedauerlichen Verwechslung zu sagen? Und darf ich Euch überdies inständig bitten (wieder derselbe drohende Ton), daß Ihr Euch auf Ehre verpflichtet, eine neuerliche Verwechslung auszuschließen, nachdem ich Euch heute abend das sichere Mittel zeigte, sie zu vermeiden?«
    »Monsieur«, entgegnete ich kühl, »die Verwechslung, wie Ihr es zu nennen beliebt, habe nicht ich verursacht, und ich brauche meine Ehre nicht zu verpfänden, um einer Wiederholung zuvorzukommen, meine Ehre war bei dieser Gelegenheit ebenso

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