Noch immer schwelt die Glut
Wuchs, Gliedmaßen, Kleidern und Gesicht, daß kein Zeichen mir zu erkennen gab, welche Angelina und welche Larissa war, denn beide hatten auch denselben dunklen Fleck neben dem linken Mundwinkel, ganz wie Quéribus es gesagt hatte: Larissa verwandelte ihre angeborene Warze durch Schminke in einen Schönheitsfleck, und Angelina in ihrer Treuherzigkeit ließ sich von der Zwillingsschwester verleiten, denselben ebenfalls zu tragen.
Ich erhob mich mit klopfendem Herzen, und zuerst erregte meine Erstarrung Gelächter, das jedoch in wachsender Betretenheit erstickte, denn niemand von uns, selbst die Eltern nicht, konnten die beiden Schönen unterscheiden, wie sie da Hand in Hand bewegungslos auf der Schwelle standen, eine das Spiegelbild der anderen. Ich verharrte am Platz wie festgebannt und suchte verzweifelt zu erraten, welche meine Liebste war und welche die arme Närrin, die sich als Dreizehnjährige mit einem kleinen Diener eingelassen, eine Kammerfrau niedergestochen hatte und danach in lüsterne Delirien verfallen war. Alles verstummte und versank in tödliches Schweigen, denn was das Unbehagen der Zuschauer erhöhte und mich aufwühlte bis ins Mark, war, daß beide aus den gleichen Rehaugen, wofür sie ja nichts konnten, mich auf die gleiche verliebte Weise anblickten, obwohl die eine mich doch zum erstenmal sah und mir ebenso fremd war wie ich ihr.
Während nun die beiden mich auf besagte Weise anblickten, das gleiche zugewandte Lächeln auf den lieblichen Lippen, fiel mir trotz meiner Ratlosigkeit auf, daß ihr unbewegliches Doppelbild nicht ohne Spannung war: Die Hand der einen drückte die Hand der anderen mit einer Kraft, daß diese fast weiß wurde, so als verwehre ein Zwilling dem anderen, weiterzugehen, wie es ihn anscheinend verlangte. Also mußte jene, die ihre Schwester nicht loslassen wollte, Larissa sein, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß Angelina, wäre es nach ihr gegangen, nicht sofort auf mich zugeflogen wäre und sich zu mir gesetzt hätte, und so faßte ich jene, die zurückgehalten wurde, und nur sie, mit zärtlicher Miene ins Auge. Als die andere dies sah, hörte sie auf mir zuzulächeln, biß sich auf die Lippe und schlug wie unglücklich die Wimpern nieder, während sie die Hand der Zwillingsschwester zugleich fester umschloß.
|103| Diese Nötigung hatte mittlerweile etwas so Ärgerliches, daß Monsieur de Montcalm, der sie, glaube ich, ebenso wie ich wahrnahm, wohl dagegen eingeschritten wäre, wenn er sich ihrer nicht zu sehr geschämt hätte und vielleicht auch bei dem Gedanken zurückschreckte, der böse Geist könnte Larissa erneut überkommen. So warf er denn, wie Giacomi mir später erzählte, dem Pater Samarcas nur einen flehentlichen Blick zu, welchen der Jesuit, der die ganze Szene wie unbeteiligt beobachtet hatte, zunächst ignorierte, und erst, als Madame de Montcalm sich zu ihm beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte, wandte sich Samarcas auf seinem Sitz um und sandte Larissa einen einzigen raschen Blick.
»Larissa«, sagte er im gleichmütigsten Ton der Welt, »kommt sofort her und setzt Euch an meine Seite.«
Bei seiner Stimme erbebte Larissa von Kopf bis Fuß, worauf sie Angelinas Hand losließ und mit niedergeschlagenen Augen an ihren Platz ging, während ihre erlöste Schwester auf mich zueilte wie ein Vögelein zum anderen.
Als meine gleichsam unendliche Begier, ihren Anblick, ihre Stimme in mich aufzunehmen, sich fürs erste gestillt hatte, was bei dieser unserer ersten Begegnung nach zwei Jahren seine Zeit brauchte, kam ich doch nicht umhin, einen verstohlenen Blick auf Samarcas und sein seltsames Mündel zu werfen, welches still und stumm, mit gesenkten Lidern und hochgehender Brust dasaß, während der Jesuit Larissas Hand mit der seinen flach auf den Tisch drückte, wie eine Maus im Griff einer Katze, und mit gedämpfter Stimme ohne Unterlaß auf sie einsprach. War nun die Stimme von Samarcas so dunkel und leise, daß ich keines der Worte verstand, die er mit dem Gewicht einer Bußpredigt in Larissas hübsches Ohr gleiten ließ, so konnte ich ihn, da seine Aufmerksamkeit gefesselt war, indessen heimlich betrachten.
Samarcas hatte ein dunkles Gesicht von gelblichem Braun, eine lange, gebogene Nase, hohle und so hagere Wangen, daß man, wenn er kaute, die Muskeln hervortreten sah. Sein Kiefer war stark und kantig, die dünnen Lippen in der Ruhe fest geschlossen, die buschigen tiefschwarzen Brauen stießen über der Nasenwurzel zusammen und betonten
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