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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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der sogenannten Jesuiten-Finte besitze, könnten Giacomi und er doch ihre Geheimnisse austauschen. Höflich, aber entschieden lehnte Giacomi den Vorschlag ab, und er verriet mir anderntags, warum.
    »Wißt Ihr nicht, Pierre, daß ein Jesuit seinem Orden zu absolutem |100| Gehorsam verpflichtet ist? Einem Jesuiten die Jarnac-Finte verraten heißt, daß sie allen seines Schlages bekannt wird.«
    »Auch wenn er einen Eid schwört, sie niemals preiszugeben?«
    »Der Ordensgeneral entbindet von jedem Eid. Ein paar Kreuzeszeichen, ein paar lateinische Formeln,
e il giocoè fatto.
« 1
    »Mein Bruder«, sagte ich lächelnd, »Ihr kennt die papistischen Orden besser als ich. Aber seid Ihr nicht begierig darauf, die berüchtigte Jesuiten-Finte zu erlernen?«
    »Doch, schon, aber nicht zum Preis von Samarcas! Ich habe meinem Meister geschworen, die Jarnac-Finte geheimzuhalten, weil sie, wie Ihr wißt, dem Angreifer die Kniekehle durchtrennt und ihn fürs Leben verstümmelt.«
    »Trotzdem habt Ihr sie mich gelehrt.«
    »Euch als einzigem, mein Bruder«, sagte Giacomi, indem er mir seinen langen Arm um die Schultern schlang, »unter der Bedingung, sie nicht zu verbreiten, und weil ich Euch vertraue. Aber Samarcas? Wissen wir denn überhaupt, welcher Nation dieser mysteriöse Herr ist? Ein geistlicher Degenträger! Ein Mönch ohne Kloster! Ein Tonsurierter auf Reisen von einem Reich ins andere, der in einem spanisch, italienisch und englisch verschnittenen Französisch radebrecht.«
    »Den Aposteln«, sagte ich, aufs neue lächelnd, »wurde die Gabe der Sprachen von Gott verliehen.«
    »Ein schöner Apostel! Wem dient er wohl mit seinen Missionen? Dem Papst? Oder Philip II.? Oder Guise? Er kommt von London. Was hatte er dort zu tun? Glaubt Ihr, er hat versucht, Königin Elisabeth zum Katholizismus zu bekehren? Und worauf gründet sich die Herrschaft, die er über Larissa ausübt? Denn sie blickt mit einer so furchtsamen und bedingungslosen Verehrung zu ihm auf, als wäre er Gott persönlich!«
    »Immerhin hat er sie exorziert«, sagte ich, ohne auch Giacomi zu enthüllen, wie wenig ich an dämonische Besessenheit glaubte.
    »Exorzismus ist ein öffentlicher Ritus«, sagte Giacomi ernst. |101| »Aber entgegen allen Regeln war er bei Samarcas geheim. Drei Tage und drei Nächte zog er sich, nur mit Larissa, hinter verschlossene Türen zurück, wurde mir erzählt, und danach war Larissa ruhig, still und engelgleich. Das riecht nach Zauberei!«
    »Ha, Giacomi!« sagte ich lachend, »wenn sogar der Exorzist der Magie geziehen wird, wo endet dann die Inquisition?«
    »Aber wißt Ihr auch«, fuhr Giacomi fort, den ich noch nie so erregt sah, vielleicht, weil er als Papist mehr als ich von den endlosen Mißbräuchen ahnte, die in seiner Kirche gang und gäbe sind, »daß Monsieur de Montcalm geschworen hat, Larissa nicht zu vermählen, weil Samarcas ihm eingeredet hat, daß der böse Geist an ihrem Hochzeitstag aufs neue über sie kommen würde? Und daß Monsieur de Montcalm, seiner väterlichen Macht gleichsam entsagend, seine Tochter der Hut und Vormundschaft von Samarcas überantwortet hat, der sie nun, wenn er von Barbentane abreist, mitnimmt auf seine geheimen Missionen?«
    »Wie? Er nimmt sie mit? Hat denn Madame de Montcalm auch eingewilligt?«
    »Hat sie! Aus Angst davor, daß der Teufel sich Larissas wieder bemächtigen könnte, wenn Samarcas nicht bei ihr ist.«
    »Giacomi«, sagte ich verblüfft, »woher habt Ihr das alles?«
    »Vom Waffenmeister des Grafen.«
    »Dem Florentiner?«
    Dieser Florentiner nämlich, der schon zehn Jahre im Dienst von Monsieur de Montcalm stand, hatte scharfe Augen, wache Ohren und eine rege Zunge, und seit unserer Ankunft auf Barbentane wich er unserem Giacomi nicht von der Seite, glücklich, mit ihm seine Sprache sprechen zu können.
     
    Doch ich greife vor. Denn was interessierte mich Samarcas an jenem ersten Abend auf Barbentane, als ich mit meinen liebreichen Gastgebern bei Tisch saß, meinen Teller kaum anrührte und mit den Augen, ganz wie Quéribus auf Mespech, an der Tür hing, durch welche meine Angelina erscheinen sollte. Der Stuhl zu meiner Rechten stand leer, auch mir gegenüber, zur Linken von Samarcas, war ein Platz unbesetzt, was mir eine Warnung vor dem Kommenden hätte sein sollen. Es hätte mich vor dem unsinnigen Glück bewahrt, mit dem ich die Tür plötzlich aufgehen sah, denn es traten nicht ein, sondern zwei junge |102| Mädchen herein, und einander so unfaßlich gleich in

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