Noch immer schwelt die Glut
Angesicht, wenn auch ein wenig verschlossen und melancholisch, erschien Heinrich wahrhaft erhaben, so als hätte er alle Sorgfalt darauf verwandt, ein königliches Bild abzugeben, das allein kraft seiner Attribute Autorität ausübte. Wenn er den Mund öffnete, gab eine erlesene Sprache seinem Denken anmutige Gestalt, und stets war dieses besonnen, feinsinnig, klug und wurde allen Anwesenden gerecht. Im übrigen zeigte er sich, wie gesagt, großmütiger als andere Könige und überhäufte jene, die ihm dienten, mit unerhörten Geschenken, dies aber nicht nur, weil es seinem Naturell, sondern auch seiner Auffassung vom königlichen Amt entsprach. Seine Diener nannte er »meine Kinder« (er, der keine hatte), war leutselig gegen sie, freimütig und ließ ihnen viel durchgehen – wenn sie ihm treu waren.
Sollte ich an diesem guten Fürsten Fehler entdecken – was mir widerstrebt, denn ich liebte ihn sehr –, so war es dies: Das königliche Bild, das er mit soviel Kunst und Fleiß von sich geschaffen hatte, durch seine blendende Erscheinung, durch die Etikette, mit der er sich umgab, durch die gesuchte Eloquenz seiner öffentlichen Rede, die bewundernswerte Einsicht in die Staatsgeschäfte, die er bei jeder Gelegenheit dartat, und schließlich durch die grenzenlose Freigebigkeit gegenüber seinen Offizieren und Dienern, kurz, dieses so schöne, so edle, ja erhabene Bild war eben nur ein Bild, beinahe ebenso regungslos wie seine marmorgleich ruhende Hand auf dem Kaminsims – Marmor zu Marmor, konnte man sagen.
All die Zeit, die ich ihm diente, bis zu seinem Tod, meine ich, schien mir Heinrich wenig entschlossen, zu handeln, sich zu behaupten und zu strafen (was die Zeiten leider erforderten). Nicht daß sein Wille schwach gewesen wäre, noch seine Seele unentschieden. Doch gewann er aus täglicher Lektüre des Machiavelli die Überzeugung, daß es besser sei, sich blind zu stellen, zu heucheln, Zeit zu gewinnen, zu lächeln, was seinem natürlichen Hang nur allzusehr entsprach, der ihn bewog, stoisch, ohne ein Wimpernzucken, alle Übergriffe und Anmaßungen, ja Demütigungen zu ertragen. Gewiß nicht, ohne daß er verletzt war und im stillen den festen Vorsatz hegte, eines |202| Tages Vergeltung zu üben. Durch allzu große Langmut aber erweckte er bei den immer kühner werdenden Feinden, manchmal sogar bei seinen Dienern, den Eindruck, er sei weich und feige, obwohl er es durchaus nicht war, wie sich zeigen wird.
Dieser unendlich vernünftige Fürst hatte die Schwäche, in einem fanatischen Zeitalter an die Macht der Vernunft zu glauben. Lieber wollte er argumentieren und überzeugen, als jene Köpfe abzuschlagen, die seinen Untergang geschworen hatten. Sie fielen schließlich auf sein Geheiß, doch erst in der äußersten Not und so, als sei er verzweifelt, nicht mehr anders zu können oder zu wollen.
Wie gut entsinne ich mich des Falles der Prediger und Doktoren von der Sorbonne, welche den König schmähten und verleumdeten, bis er sie, etwa drei Jahre nach der hier erzählten Audienz, samt dem Gerichtshof hocherzürnt in den Louvre einlud und ihnen zwei Stunden eine scharfe Rüge für die Unverschämtheit und Zügellosigkeit erteilte, mit der sie gegen ihn predigten.
Die Übeltäter hörten es zitternd, am meisten zitterte Boucher, der Pfarrer von Saint-Prévost, den Seine Majestät »böswillig und schamlos« tadelte, weil er sich erdreistet hatte, von der Kanzel herab Verleumdungen und offenbare Lügen zu verbreiten, indem er dem Volk weismachte, auf Befehl Seiner Majestät sei der Theologe Burlat aus Orléans in einem Sack ersäuft worden, während besagter Burlat sich nicht allein des Lebens freute, sondern tagein tagaus in Gesellschaft seiner Kollegen auch beim Tafeln und Picheln das große Wort führte.
»Boucher«, rief der König, »und alle ihr Priester und Doktoren desselben trüben Wassers, leider könnt ihr nicht bestreiten, daß ihr euch selbst verurteilt habt.
Zum ersten, indem ihr öffentlich und von der Kanzel herab gegen mich, euren legitimen und natürlichen König, falsches Zeugnis abgelegt und allerlei üble Reden und Verdrehungen gegen meine Ehre verbreitet habt, was die heilige Schrift euch verbietet.
Zum anderen, indem ihr, nach euren Lügen und Verleumdungen von der Kanzel herab, zum Altar tratet und die Messe last, ohne daß ihr besagte Lügen und Verleumdungen bekannt und euch mit mir ausgesöhnt hättet, während ihr doch täglich predigt, daß ein jeder, der gelogen oder einen
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