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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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guten und würdigen Platz« zu weisen, doch Quéribus erwiderte, wir wollten |207| den letzten, um in Demut und Stille unsere Andacht zu verrichten. Der Küster verstand diese Sprache, wurden im wohlwollenden Dämmer seiner dem Louvre so nahe gelegenen Kapelle doch mannigfaltige Händel abgewickelt, auch Liebeshändel, vor denen er für ein Trinkgeld milde die Augen verschloß. Und so plazierte er uns hinter einem dicken Pfeiler, indem er, sehr zufrieden mit unserer Freigebigkeit, wünschte, der Herr möge uns in seiner Gnade erhalten.
    »Amen«, sagte Fogacer.
    »Moussu«, sagte Miroul, »kann ich hinausgehen und mich in der Umgegend der Kapelle umsehen?«
    »Geh nur, Miroul«, sagte ich düster, »sieh dich um, soviel du willst, mein Sohn. Gott weiß, wie lange wir die Pariser Gassen entbehren müssen. Aber entferne dich nicht. Du weißt, wir reisen heute noch aufs Land.«
    Umringt von Quéribus, Giacomi und Fogacer, den ein Page begleitete, den er Silvio nannte (nach jenem, der ihm vor rund zehn Jahren an einer Blinddarmentzündung gestorben war und den er nicht vergessen konnte), wurde ich mit Fragen nach meiner Ungnade bestürmt. Weil ich nicht wußte, ob der König es gebilligt hätte, sagte ich ihnen nichts von Mundane, von Marianne und vom Raub meines Pferdes, sondern nur, daß der König mich fortschicke wegen der Gerüchte, ich hätte Navarra in seinem Auftrag zweihunderttausend Ecus überbracht.
    »Ha, mein Bruder«, raunte Giacomi mir zu, »so untröstlich ich über Eure Verbannung auch bin, kommt sie mir doch sehr zupaß, sofern Ihr erlaubt, daß ich Euch nach Chêne Rogneux begleite!«
    »Was soll das, mein Bruder?« entgegnete ich unwirsch, »wie kann meine Verbannung Euch willkommen sein?«
    »Pierre«, sagte Giacomi tief errötend, »ich habe mich mißverständlich ausgedrückt. Darum wißt: Samarcas ist bei den Montcalms abgestiegen, weil er uns noch auf Reisen in der Guyenne wähnte, und so konnte ich Larissa heute vertraulich sprechen. Sie gelobte mir Treue und daß sie ihrem Aufpasser entfliehen wolle, sobald sie nur könne. Indessen überraschte uns Samarcas, zum Glück jedoch, ohne mich zu erblicken, und kündigte seinen Aufbruch binnen vierundzwanzig Stunden an: Er hatte von Eurer Rückkehr Wind bekommen. Wenn er nun aber hört, daß Ihr heute nach Chêne Rogneux geht, könnte es |208| sein, daß er doch noch bleibt, und ich würde, nachdem ich Euch demonstrativ auf Euer Landgut gefolgt bin, mich unauffällig wieder nach Paris zurückbegeben.«
    »Des einen Uhl ist des anderen Nachtigall«, sagte ich süßsauer. »Freue dich ungescheut, Giacomi: Ich reise heute. Falls Quéribus so gut ist, mir seine Kutsche zu leihen.«
    »Seine Kutsche, seine Eskorte und sein Geleit«, sagte Quéribus.
    »Und meins«, sagte Fogacer.
    »Wie das, Fogacer?« fragte ich. »Und dein Dienst beim König?«
    » Mi fili
, Lügen kann gelegentlich Gutes bewirken, unter Freunden ist es schändlich. Gern würde ich vorgeben, ich wollte dich zu deiner Sicherheit begleiten. Aber der Baron? Und Giacomi? Wo fände man bessere Degen? Und einen trefflicheren Messerwerfer als deinen Miroul, den ich soeben zur Kapelle hereintreten sehe, die Backen von einer Neuigkeit geschwellt, die er dir sogleich in kleinen Dosen verabreichen wird.
Mi fili
, die Wahrheit ist: Ich muß meine Gasse, mein Haus, meine Nachbarschaft fliehen, weil man zu argwöhnen beginnt, daß ich nicht nach Weiblichkeit lechze, wie ich sollte.«
    »Und Heinrich?« fragte ich.
    »Heinrich glaubt mich am Bett meiner alten Mutter, die mir vor zwanzig Jahren gestorben ist. Eine Lüge, aber was hilft es? Immer bin ich auf der Flucht vor der unbesieglichen Dummheit der Menschen, ich ewiger Jude.«
    »Moussu«, sagte Miroul, und sein blaues Auge blitzte im Halbdunkel, »kann ich Euch kurz allein sprechen?«
    Ich erhob mich und ging zu ihm hinter einen Pfeiler.
    »Moussu«, sagte er, »ist es dem Weisen nicht immer wieder erstaunlich, wie vieles man erfährt, wenn man mit offenen Augen und Ohren umherstreunt?«
    »Miroul«, sagte ich, »spar dir die Vorrede. Zur Sache.«
    »Aber die Sache erfordert kleine Umschweife«, sagte er.
    »Na gut, schweife.«
    »Also, wenn ich bedenke, Moussu, wie Ihr mich für meine Trödelei noch vor einem halben Jahr getadelt habt …«
    »Gehören mein Irrtum und meine Reue zu deinen Umschweifen?«
    »Nein, meine Umschweife betreffen die Macht des Zufalls.«
    |209| »Erkläre.«
    »Eine Dame verläßt ihre Wohnung, um Euch am Schalter des

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