Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
wobei sie an Noconas Seite blieb und sich von ihm leiten ließ. In Form einer Sichel ritten die Jäger den Hang hinab. Langsam und behutsam, um die Herde nicht zu früh in Aufregung zu versetzen. Selbst, als sich die Sichel auf einen Teil der Herde zu bewegte und die Tiere einkesselte, zeigten die Büffel nur mäßigen Argwohn. Das dunkle, furchterregende Grollen der Bullen vibrierte in Naduahs Körper und machte ihr bewusst, dass diese Jagd all ihr Können abverlangen würde. Hier ging es nicht nur um Fleisch, das beschafft werden musste, um über den Winter zu kommen. Es ging darum, am Leben zu bleiben, während man eine Urgewalt herausforde r te.
Wolken stiegen aus geblähten Nüstern auf. Sturmwind verfing sich in zottigem Fell. Noconas wachsamer Blick glitt über die Masse aus Le i bern, schien bereits zu entscheiden, in welchen Körper sich seine Lanze bohren würde. Mit behutsamem Schenkeldruck lenkte er Cetan auf eine Gruppe ausgewachsener Bullen zu. Keine Kühe, keine Halbwüchsigen. Nein, dieser Wahnsinnige suchte sich die Gefährlichste aller Herausfo r derungen.
Die Sichel rückte näher, immer näher. Ein Schaudern durchlief die Herde. Naduah entdeckte einen riesigen Bullen, dessen Fell in Fetzen von seinen Flanken h in abhing . Grollend wühlte er die Erde auf, schütte l te seinen mächtigen Schädel und spannte s einen Körper an, der nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen schien. Ich fliehe nicht! , schien er seinen Jägern zu bedeuten. Ich fliehe niemals .
Am oberen Ende der Formation brach Tumult aus. Die ersten Pfeile flogen, unter den Tieren breitete sich Panik aus. Mit einer Behändigkeit, die ihre massigen Körper Lügen strafte, fielen die Bisons in Galopp. Auch der gewaltige Bulle. Mit der Schnelligkeit eines Pferdes warf er sich herum und suchte das Weite, verfolgt von Nocona, der seine Lanze zum Stoß erhob. Siyo entschloss sich, Cetan zu folgen, und noch ehe Naduah einen klaren Gedanken fassen konnte, umfing sie ein Mahlstrom aus entfesselter Gewalt.
Zottige Fleischberge umringten sie, umzingelten sie, rissen sie mit sich. Die Erde bebte. Ohrenbetäubendes Donnern zerriss die Luft, zusa m mengesetzt aus Grunzen, Stöhnen, Brüllen, trommelnden Hufen. Naduahs Bein streifte das dicke Nackenfell eines Bullen. Wogende Mu s keln drückten sich gegen ihre Haut, der strenge Geruch des von Schlamm verkrusteten Fells biss in ihre Nase.
Siyo scherte zur Seite aus, schlängelte sich zwischen zwei Kühen hi n durch und jagte mit geblähten Nüstern auf den Rand der Herde zu. Naduah presste ihre Schenkel fest um den Körper ihrer Stute, zog einen Pfeil aus ihrem Köcher und legte ihn auf die Sehne. Staub erfüllte die Luft, das Beben und Donnern nahm zu, verschluckte die Rufe der Jäger, wollte sie zerfetzen, zerreißen und in den Boden stampfen.
Der Lärm nahm ihr schier den Atem. Alle Gedanken verflüchtigten sich und überließen purem Instinkt die Kontrolle. Naduah fühlte jeden einzelnen Muskel ihres Körpers. Sie spannte den Bo g en und zielte auf das neben ihr galoppierende Tier. Es gab keine Entscheidu n gen. Keine Angst. In vollem Lauf ging die Kuh zu Boden, von ihrem Pfeil getroffen . Einer Flutwelle gleich strömte die Masse aus schwarzen Leibern um das gestürzte Tier herum. Siyo anzutreiben war nicht nötig. Naduah und die Stute bildeten eine Einheit, reagierten wie ein Wesen, bewegten sich wie ein Wesen. Neben ihr tauchte ein hal b wüchsiger Bulle auf. Sein dicker Nackenwulst bebte im Rhythmus der Galoppsprünge. Ein zweiter Pfeil flog von der Sehne und fand sein Ziel, bohrte sich in die Schulter des Bullen und prallte am Knochen ab, ohne größeren Schaden anzurichten. Das Tier schien ihn nicht einmal zu sp ü ren. Die rosafarbene Zunge hing ihm weit aus dem Maul, während es mit der Wendigkeit eines Krieg s pferdes dahinstürmte.
Naduah legte einen dritten Pfeil an. Siyo legte noch einmal an G e schwindigkeit zu und wagte sich so nah an den Büffel heran, dass Naduah die pulsierende Hitze des gewaltigen Leibes an ihren Schenkeln spürte. Keine Armlänge trennte sie von dem Bullen. Ein Ruck mit se i nem Kopf, und die Hörner würden sich in den Leib ihrer Stute bohren.
Naduah ließ den Pfeil fliegen. Er hätte das Herz des Bisons durc h bohrt, wäre Siyo nicht im Moment des Schusses gestolpert. Es war nur ein kurzes Straucheln, reichte jedoch aus, um das Geschoss erneut feh l zuleiten. Die Klinge prallte am Schulterknochen ab. Der Kopf des Bullen schwang wie einen Rammbock zur
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