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Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Titel: Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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einen Sinn. Nicht einmal die Hoffnung.
    Ich beginne zu begreifen, dass ich nie wieder zurückkehren werde.
    Zurück zu meinem Mann, zurück zu meinen Söhnen.
    Blut floss aus tiefen Schnitten an ihren Handgelenken. Mit letzter Kraft setzte sie das Messer erneut an und zog es durch ihr Fleisch. Zweimal, dreimal. Jeder Grund, am Leben zu bleiben, war ihr geno m men worden.
    „Niemals“, flüsterte sie in der Sprache ihres Volkes. „Ich bin keine von euch. Ich habe nie zu euch gehört. In meinen Adern fließt das Blut der Nunumu. Nichts lebt ewig, nur die Erde und die Berge.“
    Jemand packte sie und warf sie auf das Bett. Naduah wehrte sich und schrie. Sie biss, kratzte und schlug, bis ihre Kräfte am Ende waren und ein schwarzer Schleier sich zuzog. Überall war Blut. Draußen strich der Wind um das Grab ihrer Tochter und bewegte sich in ihrem Herzen. Erinnerte sich Topsannah, wie das Gras gerochen hatte, dort, wo ihr wahres Zuhause lag? Erinnerte sie sich an die Stimme ihres Vaters? Naduah fühlte nichts mehr, vernahm nur noch den Ruf der anderen Welt, wo ihre Familie auf sie wartete. Man hatte ihr alles g e nommen. Und jetzt wollten sie auch das Letzte, was ihr geblieben war. Ihre Seele.
    „Nocona“, wisperte sie. „Ich komme zu dir. Ich bin gleich bei dir.“
    Fern hörte sie, wie man nach einem Arzt rief. Das Bettlaken unter i h rem Körper troff vor Blut. Auf dem Schaukelstuhl lag noch immer Topsannahs Decke, selbst gewebt vor einer Ewigkeit in ihrem wahren Z u hause. Einst hatte sie tagelang in diesem Stuhl gesessen, ihre Tochter im Arm und den Blick in die Ferne gerichtet. Bis irgendwann der M o ment gekommen war, in dem sie begriffen hatte, dass es hinter den Be r gen keine Heimat mehr gab. Ihr Dorf hatte man vernichtet, der Mann, den sie über alles liebte, war tot. Seine Stimme in ihrem Herzen erklang längst nicht mehr, doch jetzt hörte sie etwas anderes. Den Ruf der and e ren Welt. Den Ort, an dem sie sich wiedersehen würden.
    „Mein Kind“, raunte eine Stimme. „Wir geben dich nicht auf. Hier gehörst du her. Hierher. Du bist in Sicherheit. Alles wird gut.“
    „Nein.“ Sie wisperte es mit letzter Kraft. „Lasst mich zu Nocona. Lasst mich zu meinen Söhnen.“
    „Möge Gott deiner Seele gnädig sein. Sofern die Wilden sie dir gela s sen haben.“
    „Nein! Ihr seid es, die seelenlos sind.“
    Sie hatte geglaubt, keine Kraft mehr zu haben, doch jetzt wehrte sie sich wie eine Wölfin. Sie kämpf t e , bis en d lich die Schwärze kam. War es der Tod?
    „Sara! Kommen Sie zu sich! Kommen Sie zurück!“ Eine Männersti m me brüllte in ihr Ohr. Jemand schüttelte sie.
    „Ich bin es, Dr. Wolger.“ Sie wurde auf die Beine gezerrt und weiter geschüttelt. Unendlich mühsam hoben sich ihre Lider. Was zum Teufel war passiert? Stück für Stück erinnerte sie sich. Sah klarer. Begriff, was dieser Mistkerl ausgelöst hatte.
    Plötzlich lag Dr. Wolger am Boden , von ihrer Faust g etro f fen .
    „Warum haben Sie das getan?“ , brüllte sie ihn an. „Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?“
    „Es tut mir leid.“ Ungläubig betastete er sein anschwellendes Gesicht. „Das war unverzeihlich. Aber Sie müssen mir erlauben, Sie zu hypnot i sieren. Ihr Fall ist einzigartig. Ich habe noch nie eine so starke …“
    „Vergessen Sie es!“ Sara zitterte. Kaum brachte sie es fertig, aufrecht zu stehen. Es fühlte sich an, als hätten Klauen mit titanischen Kräften ihre Seele zerfetzt. Die Bruchstücke wirbelten herum. Brennend, schmerzend . U nmöglich , wieder zusammenzusetzen. Taumelnd ließ sie die Praxis hinter sich. Ihr Blick verschleierte sich, zeigte ihr nur noch wi r belnde Strudel. Wie sie es dennoch schaffte, die Straße zu erreichen und in ein Taxi zu steigen, wusste sie nicht.
    „Hunts Point Ave“, brachte sie hervor.
    Ja, das passte. Wieder ein Wink des Schicksals. Früher war die Insel Manhattan ein üpp i ges Paradies gewesen. Lange genug hatte sie sich während ihrer Reise mit dem traurigen Werdegang des Landes befasst. Für sinnlosen Tand im Wert von sechzig niederländischen Gulden war das Land an die Weißen abgetreten worden. Es war zu bezweifeln, dass den Algonkin-Indianern klar gewesen war, was sie angerichtet hatten. Für sie bedeutete der Tausch die Einwilligung, das Land und seine u n ermesslichen Schätze mit ihren Gästen zu teilen. Von Gastfreundschaft und Koexistenz aber hie l ten die Holländer nicht viel. Die Algonkins verloren ihre Heimat, die Insel Manhattan ihre

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