Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
denen Fleisch trocknete. Ohne die Büffel waren sie dem Untergang geweiht. Was, wenn sie irgendwann nicht mehr zurückkommen würden? Was, wenn man sie alle tötete oder vertrieb? Wenn das geschah, würde es ihrem Volk den Todesstoß verse t zen, ohne dass es jemals zu einem Krieg gekommen war. Das Land der erbittert um ihre Freiheit kämpfenden Cheyenne lag zwischen der Comancheria und dem von Weißen überschwemmten Osten, doch wie lange würde dieser Schutz andauern? Selbst die Dog Soldiers waren machtlos gegen die immer besseren Gewehre der Weißen.
Naduah hob ein Ahornblatt auf, betrachtete das Geflecht seiner feinen Adern und ließ es ins Wasser fallen. Schwerelos trieb es davon. Die Schreie eines ziehenden Gänseschwarms bohrten die Klinge noch tiefer in ihr Herz. Seit jeher empfand sie den Anblick der Vögel und ihre Rufe als traurig. In weite Ferne zogen sie fort und ließen den Menschen mit se i ner Sehnsucht zurück. Irgendwann würde auch ihre Seele mit dem Wind ziehen. Aber s ie durfte sich nicht fürchten. Nicht vor etwas, das ebenso natü r lich war wie das Leben.
Als die Sonne die Bäume berührte, verkroch Naduah sich unter i h ren Decken. Der Abend kam, ohne dass sie aufstand, und nicht einmal Mahtos und Hukas gute s Zurede n brachten sie dazu, sich aufzuraffen. Ni e mand außer Nocona konnte ihr Trost schenken. Sie brauchte ihn. Sie brauchte seine Stimme und seine Berührung. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen .
Als die Dunkelheit kam, fiel der erste Schnee. Naduah sah den Flocken zu, wie sie durch den Rauchfang herabrieselten und mit hauchzartem Zischen auf der Glut landeten. Neben ihr schliefen Mahto und Huka, so tief, wie nur unbekümmerte Wesen schlafen konnten.
Die Stille wisperte in ihren Ohren. Kein Wind ging, kein Tier schrie. Keine Blätter raschelten. Doch als die Nacht finster und tief wurde, e r klang tiefes Donnergrollen. Naduah zuckte hoch. Es waren Pferdehufe! Unzählige Pferdehufe!
Panisch sprang sie auf, stolperte über Mahto und hechtete zu den B ö gen hinüber.
„Was?“ Ihr Vater starrte sie erschrocken an. „Wo? Was ist los?“
„Sie kommen!“ Naduah hastete zum Eingang hinüber. „Sie wollen mich holen!“
„Wer?“ nuschelte Huka.
„Hörst du es nicht? Die Weißen! Sie haben unser Dorf gefunden.“
Naduah fegte das Fell beiseite, legte einen Pfeil auf die Sehne und spannte ihren Bogen, so fest sie nur konnte. Niemals würde man sie mitnehmen! Eher nahm sie den Tod in Kauf. Draußen lag tiefer Schnee. Sternenfunkelnd überzog er Zelte, Hügel und Bäume.
Zahllose Mustangs stürmten durch das strahlende Weiß. Ungesattelt, ohne Reiter. Mähnen wehten im Wind, Dampf stieg aus Fell und Nü s tern auf. Da waren weiße , braune und schwarze Pferde. Graue, gefleckte, gescheckte und kojotenfarbene Tiere. Eine unbändige Flut übe r schwemmte das Dorf, begafft von unsanft geweckten Schl ä fern, die in den Eingängen ihrer Zelte standen und sich die Augen ri e ben.
Naduah erstarrte, als ein seltsamer Reiter auf sie zukam. Er trug eine vollkommen eingeschneite Bisonrobe. Seine Haare waren überzuckert von Schnee, sein Gesicht glitzerte vor Tröpfchen aus geschmolzenen Flocken. Nocona glitt von Cetans Rü c ken und trat vor sie. Niemals z u vor hatte das Feuer in se i nem Blick so leidenschaftlich gebrannt. Niemals war er ihr schöner und magischer erschienen als jetzt, da er atemlos und schneefunkelnd vor ihr stand.
„Dein Geschenk“, stieß er hervor und heftete seinen Blick auf den vom Donner gerührten Mahto. „Hundert Pferde für deine Tochter. Wenn du mir erlaubst, dass sie mein wird. Und wenn sie es erlaubt.“
„Hundert?“ Mahtos Kiefer klappte nach unten. „Hundert Pferde?“
„Deine Tochter ist jedes Einzelne wert. Hundert Pferde und noch viel mehr.“
Naduah ließ ihren Bogen sinken. Hukas Hand umfasste die ihre.
„Wie … “ Mahtos Stimme versagte. Er räusperte sich ein paar Mal. „Woher hast du sie?“
„Von den Osage“, antwortete Nocona, ohne den Blick von Naduah zu nehmen. Sein strahlendes Lächeln ließ sie schwanken. „Niemand kam zu Schaden, wenn man einmal von drei bewusstlosen Pferdehütern a b sieht, die inzwischen wi e der wohlauf sein sollten.“
Huka stieß ein Keuchen aus. Ihr fassungsloser Blick huschte von Nocona zu den zahllosen Mustangs, die sich wie Geister im Schneetre i ben bewegten. „Wie habt ihr eine ganze Herde gestohlen? Was war mit den Hunden?“
„Makamnaya hat seine Fleischration geopfert.
Weitere Kostenlose Bücher