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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Kobold.« Die Alte begann zu kichern, und als habe dieses Lachen ihre Maske gesprengt, stand wieder Zhang vor ihm und zog zufrieden ihren Zopf fest.
    »Ich glaube, das hat Tigwid wirklich überfordert«, bemerkte Fredo.
    »Ach was.« Zhang lief um Fredo herum und kniete sich vor Tigwid nieder. »Du bist doch auch einer von uns. Illusionen sind meine Gabe. Deshalb hat man mich auch in einen Zirkus gesteckt. Und - was kannst du?«
    Tigwid war jetzt erst recht sprachlos. Zhang war eine Motte, und Fredos gelassenem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er ebenfalls eine - oder zumindest musste er den Umgang mit Motten gewöhnt sein.

    »Ich … ich wusste nicht, dass es …«
    »Dass es mehr wie dich gibt?«, meinte Zhang. »Verstehe schon, das dachte ich auch - das dachten wir alle, bevor Erasmus uns gefunden hat.«
    Natürlich hatte Tigwid gewusst, dass es noch andere Motten gab - schließlich hatte er Apolonia getroffen und wusste von den Dichtern. Aber zu wem gehörten Zhang und Fredo? Irgendwie konnte sich Tigwid nicht vorstellen, dass sie Dichter waren, ob das nun an ihren ärmlichen Kleidern lag oder der Tatsache, dass sie ihm das Leben gerettet hatten.
    Zhang beobachtete ihn eine Weile mit leuchtenden Augen. Schließlich verschränkte sie die Arme auf den Knien. »Ich habe gehört, dass du auf der Suche nach einem Buch bist. Einem Buch der Antworten.«
    »Das Buch - ich dachte, das gibt es nicht!«
    Zhang warf Fredo ein Grinsen zu. »Nun … vielleicht doch.«
    Tigwid richtete sich, so gut es ging, weiter auf. Das Buch der Antworten, um Himmels willen - wenn es doch so etwas gab! Eindringlich sah er das Mädchen an. »Hast du das Buch der Antworten?«
    »Ich?« Zhang lächelte. »Nein. Ich versuche lediglich, daraus zu lesen … aber wer kann schon von sich behaupten, dass er es ganz versteht?« Das Mädchen erhob sich. In der Dunkelheit erklangen langsame, schwere Schritte. Eine Männerstimme begann zu sprechen, trocken und rau wie altes Papier.
    »Guten Tag, Junge. Mein Name ist Erasmus Collonta. Das Buch, nach dem du suchst, existiert wirklich, und es tut mir leid, dass wir dich so lange im Dunkeln lassen mussten.« Ein Mann trat ins Licht, um dessen Runzelgesicht ein Kranz wilder weißer Haare flammte. Er trug eine zerschlissene grün karierte Weste und einen schlecht gebundenen Schlips. Einen
Moment lang betrachtete er Tigwid aus scharfen Augen. Die Brauen warfen Schatten über sein Gesicht wie gespreizte Mottenflügel.
    »Das Buch ist hier.« Er hob den Zeigefinger und deutete auf seine Stirn. »Aber vor allem sind die Antworten hier drinnen.« Und mit einem Lächeln wies der alte Mann auf sein Herz.

Die Schülerin

    L oo war, wie Tigwid bald erfuhr, ein Mädchen in Fredos Alter, das tatsächlich so liebenswürdig schien, wie Zhang gesagt hatte: Mit ihrem runden Gesicht, der sommersprossigen Nase und den fast immer sichtbaren Grübchen in den Wangen kam sie in die wachsende Runde um Tigwids Matratze geweht und ergriff seine Hand, um sie zu schütteln.
    »Hallo, wie geht es dir, ich bin Loo! So nennen mich alle, mein eigentlicher Name ist Loreley, aber wer will schon so heißen, es klingt so piekfein, nicht wahr? Was macht deine Schusswunde? Schön, dass du aufgewacht bist, ich konnte kaum erwarten, dich kennenzulernen! Willst du Wasser? Ich habe den Linseneintopf schon auf den Herd gestellt, in zwei Minuten bring ich dir welchen, du wirst ihn sicher mögen - außer Linsen habe ich noch Speck reingeschnippelt!«, sprudelte sie los, und Tigwid nickte und lächelte. Fredo kratzte sich die Backe.
    »Sieht so aus, als ginge Fredo dein Mitgefühl ein bisschen zu weit«, bemerkte Zhang mit einem Augenzwinkern. Loo ließ Tigwids Hände sanft los und rutschte mit einem Lächeln neben Fredo.
    Inzwischen waren noch weitere Freunde - oder was auch immer diese Gruppe eigentlich war - zu Tigwid gekommen
und stellten sich vor: Mit Loo war ein schmaler blonder Junge namens Emil erschienen, der einen schüchternen Eindruck machte und Tigwid mit einem Winken begrüßte. Ein Mann mittleren Alters kam dazu, der Rupert Fuchspfennig hieß. Sein blasses Gesicht war voller tiefer Furchen und von farblos wirkendem Haar umrahmt, das bereits aus der Stirn floh. Dann tauchte jemand im Lichtschein auf, den Tigwid wiedererkannte. »Bonni!«
    Das Mädchen trat mit einem Lächeln neben Erasmus Collonta. »Hallo, Jorel. Schön, dich wiederzusehen.«
    Seit Tigwid sie das letzte Mal in Eck Jargo getroffen hatte, um ihre Prophezeiung zu

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