Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
hatte sozusagen einen hohen Posten in Eck Jargo inne. Sie hat alles verloren, Freunde wie Feinde, nur der Kopf ist ihr geblieben.«
»Genau wie mir!« Flamm prostete ihr zu. »Hände und Füße werde ich ihnen abhacken, diesen Ratten, die uns verraten haben!«
Tigwid schluckte schwer. »Ja … Dotti kennt die wichtigsten
Leute aus Eck Jargo . Bestimmt kann sie uns ein paar Hinweise geben, wer sich verdächtig verhalten hat.« Mit einem Hilfe suchenden Blick drehte er sich zu Dotti um. »Du weißt doch noch, wer Vampa ist? Hast du ihn kürzlich gesehen? Vielleicht mit einem Mädchen?«
Dotti leerte ihr Glas in vier großen Schlucken. »Hab ihn zuletzt mit dir gesehen«, erwiderte sie fahrig, und Tigwid erkannte, dass sie zu tief in ihrem eigenen Elend versunken war, um ihm ernsthaft zu helfen.
»Wer?«, nuschelte Flamm.
»Vampa, Boxer in Eck Jargo früher«, erklärte Dotti.
»Hatte auch’n paar Boxer unter Vertrag! Der Champion is eingelocht worden, wurde wegen Totschlag gesucht …«
»Ach, davon kann ich ein Lied singen.«
»Meine Wertpapiere sind konfisziert … meine Freunde bei der Polizei … ich konnte grade meinen eignen Hintern retten, meinen Partnern wird allen was angehängt, und ich soll ohne Wäscherei drei Dutzend Westen weißwaschen, während die Blauröcke mir noch am Hosenbein hängen wie räudige Hunde!«
»Ganz genau!«, prostete Dotti ihm zu. »Mich ham die Blauröcke versucht zu erpressen, Spitzelarbeit und so, aber denen hab ich einen Strich durch die Rechnung gemacht, jawohl! - Nich wahr, Tigwid, ich hab dich gewarnt damals!«
»Ähm, Jorel , ich heiß Jorel «, verbesserte Tigwid sie nervös und nickte. Zum Glück war Flamm zu betrunken, um hingehört zu haben. Er machte einen letzten Versuch und fasste Dotti am Arm. »Haben Sie seit unserem letzten Treffen wirklich gar nichts mehr von Vampa gehört? Denken Sie nach, bitte, es ist wichtig!«
»Genau!«, stimmte Flamm ihm zu und leckte sich Milchund Schnapsreste von der Oberlippe. »Jorel will nämlich ein paar Dinge für mich ermitteln.«
»Über Vampa?«, fragte Dotti.
»Wer ist Vampa?« Flamms Wange zuckte gefährlich.
»Vampa könnte mehr wissen, hat viele Kontakte«, log Tigwid schnell.
»Hab ihn wirklich nicht mehr gesehen«, meinte Dotti, und eine Spur Misstrauen trat in ihre Augen, als könne Vampa im nächsten Augenblick hinter Tigwid hervorspringen und ihr wer weiß was antun.
»Sie müssen meine Leute kennenlernen«, fuhr Flamm, an Dotti gewandt, fort. »Ich denke, wir sind Geschäftsleute in derselben Branche, sitzen sozusagen im gleichen Boot. Zusammen ist man stärker …«
Dottis Blick leuchtete trotz des geleerten Feuermilchbechers auf. »Nach dem Geschäft ist vor dem Geschäft war früher mein Motto. Ich bin keine Frau, die so leicht aufgibt, wissen Sie.«
Flamm und Dotti schielten sich lange in die glasigen Augen. Dann lehnte sich Flamm zu ihr vor. »Wenn Sie einverstanden sind, Madame, können wir uns … eingehender unterhalten, wo wir vor unerwünschten Zuhörern sicher sind. Dort hinten habe ich einen bewachten Tisch.«
Dotti nickte bezaubert und reichte Flamm die Hand. »Jetzt wo sowieso alles vorbei ist … ich pfeif auf die blöde Sicherheit! Wissen Sie was: Eck Jargo stand unter meiner Führung.«
»Nein …!«
Noch ehe Dotti und Flamm ein weiteres geschäftliches Geheimnis ausgetauscht hatten und noch lange bevor sie ihre ersten gemeinsamen Pläne schmiedeten, hatte Tigwid den Königsfuß verlassen und lief raschen Schrittes die Gasse hinunter. Immer wieder drehte er sich um, doch Flamm schickte seine Totschläger nicht hinter ihm her. Sein Herz flatterte ihm in der Brust wie Papier im Wind. Wenn Flamm wüsste, wer die Polizei in sein Büro geführt hatte … und überdies auch
noch an Eck Jargos Untergang Schuld trug! Er schloss die Augen.
Nach ein paar Atemzügen an der kalten Luft verließ Tigwid die Angst. Nun dachte er an Apolonia und Vampa. Sie waren also nicht bei den Spiegelgolds gewesen, sie waren nicht in Vampas Versteck, sie waren nicht im Untergrund. Blieb nur noch die Polizei oder die Dichter … Verdammt, er musste unbedingt herausfinden, wo dieser Professor Ferol wohnte. Nur war zweifelhaft, ob die Banditen, die er befragen konnte, etwas über Kunstprofessoren wussten.
Er bog in eine Straße, in der sich eine Schänke an die andere reihte. Gedämpfter Lärm und Gläserklirren waren die Melodie der Nacht. Vor einer der Schänken lehnte ein junger Mann mit einer Pfeife im Mund
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