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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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zuflüsterte, vier Pokerspieler und eine schnurrbärtige Frau, die, von den Umstehenden angefeuert, gegen jeden Freiwilligen im Armdrücken antrat. Tigwid kannte ein paar der Jungs, die beisammensaßen, und nickte ihnen zu, als er zur Theke ging. Sie boten ihm einen Stuhl an, doch Tigwid hatte keine Zeit für eine Märchenstunde - er wusste, dass die Jungen Amateure waren, die mehr Spucke als Ahnung hatten und ihm bei seiner Suche nicht weiterhelfen konnten. Die Augen nach den richtigen Leuten offen haltend, durchquerte er den Raum. Plötzlich entdeckte er eine Frau mit blonden Korkenzieherlocken an der Theke. Das war Dotti! Gerade leerte sie ein Schnapsglas und stellte es zu einem Grüppchen weiterer Gläser zu ihrer Linken. Tigwid beschloss, sie zu grüßen. Er öffnete den Mund, doch das »Hallo« blieb ihm im Hals stecken: Eine Hand packte ihn an der verletzten Schulter und drehte ihn herum. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte er auf - und erstarrte.
    Vor ihm stand Mone Flamm. Schütteres rotes Haar, breiter Schädel, dicke Brille und die kalten blauen Augen - alles war so, wie Tigwid ihn zuletzt in seinen Albträumen gesehen hatte.

    »Jorel«, sagte Flamm mit seiner dünnen, schrecklichen Stimme und legte den Kopf schief. »Jorel.«
    Tigwid versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr der Griff an seiner Schulter wehtat. Er biss die Zähne aufeinander. Sein alter Boss lehnte sich so weit zu ihm vor, dass ihre Nasen sich fast berührten. »Gut, dass es dich noch gibt.« Erst jetzt roch er den Alkohol in seinem Atem. Der Blick hinter den Brillengläsern flackerte - er war betrunken.
    »Hallo, Boss«, brachte Tigwid endlich hervor. Er schielte nach allen Seiten. Da, hinter der bärtigen Armdrückerin und ihrem Publikum, saßen Flamms Schläger an einem Tisch und beobachteten ihren Herrn wie treue Hunde. Doch dass Flamm sie noch nicht hatte holen lassen, stimmte Tigwid hoffnungsvoll - auch die Tatsache, dass er noch keine Kugeln im Körper hatte, konnte nur Gutes verheißen. Sicherheitshalber spähte er zu Flamms linker Hand hinab, ob er womöglich ein Messer oder eine Pistole hielt. Doch Flamm erledigte seine Schmutzarbeit nie selbst und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
    »Du hast davon gehört?«, raunte er Tigwid ins Ohr. Tigwid zwang sich zu einem Nicken. Flamm legte ihm beide Hände auf die Wangen. »Ein Verräter hat bei unseren Freunden in der blauen Uniform gesungen …« Heiße Schauder jagten Tigwid wie Stromschläge durch den Körper. »Eine Verschwörung! Erst Eck Jargo und jetzt ich - eine verdammte Horde von Verrätern!« Er kniff Tigwid fest in die Wangen und zerrte an ihm, doch in Flamms Augen stiegen wütende Tränen. »Macht nichts«, schniefte er schließlich. »Wir bauen alles wieder auf. Ich habe Arbeit für dich, Jorel. Keiner der Jungs ist so geschickt wie du, das weißt du. Hör dich ein bisschen um, sammle alle Informationen, die du kriegen kannst. Und wenn du dich ins Polizeipräsidium schleichen musst, verdammt, finde heraus, wer die Verräter sind! Keine Angst, wir
haben immer noch Freunde im Präsidium. Du stehst noch immer unter meinem Schutz, hast du verstanden? Mir konnte die Polizei auch nichts anhängen, obwohl sie - obwohl sie unsere Unterlagen in Kartons und Kisten aus dem Büro getragen haben! Ich - ich brauche was zu trinken. Setz dich zu uns an den Tisch, Jorel.«
    »Äh, ich wollte eigentlich gerade - eine Bekannte von mir, das ist Dotti!« Er befreite sich aus Flamms Umarmung und trat zu Dotti, die sich beim Klang ihres Namens mit einem leisen Rülpser umdrehte.
    »Tigwid?«, hauchte sie. »Oh, du hast die Schweinehunde abgehängt! Ich wusste, dass du dich nicht schnappen lässt!« Sie wollte nach seinem Arm greifen und verfehlte ihn. Tigwid nahm ihre Hand und legte sie rasch in Mone Flamms. »Das hier ist Mone Flamm, mein Boss. Darf ich vorstellen: Dotti.« Sie sahen sich eine Weile verwundert an, zwei Spiegelbilder der Trunkenheit.
    Tigwid fischte einen Geldschein aus seinem Schuh, den er aus dem Haus der Spiegelgolds hatte mitgehen lassen - sozusagen eine kleine Anzahlung für seine Bemühungen um Apolonia -, und winkte den Wirt heran. »Boss, Sie wollten was trinken? Dotti, darf ich Ihnen auch etwas anbieten?«
    Dotti klopfte auf den Tresen, was so viel wie Ja bedeutete. »Milch mit einem Schuss Schnaps. Oder zwei.«
    Tigwid bestellte drei Feuermilchbecher und zahlte. Als er den beiden ein Glas in die Hand gedrückt hatte, erklärte er Mone Flamm: »Dotti

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