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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Geisterherren, der Grüne Ring, Visionen wie die von Bonni, das sind Kräfte, die dem Staat zur Verfügung stehen sollten.«
    »Die Leute würden es mit der Angst zu tun bekommen, glaube ich«, gab Tigwid zu bedenken. »Wenn plötzlich die ganze Regierung auf Zauberei basiert … ich meine natürlich, auf einer unerforschten Wissenschaft.«
    »Stimmt genau«, pflichtete Bonni ihm leise bei. »Die Zyniker würden denken, unsere Gaben seien bloßer Hokuspokus, die Religiösen würden denken, wir wären mit dem Teufel im
Bunde … und die Realisten hätten Angst, dass wir unsere Gaben missbrauchen.«
    »Papperlapapp«, sagte Zhang, und eine kleine Zornesfalte erschien zwischen ihren Brauen. »Die Dichter missbrauchen ihre Gaben, aber gute Motten sind gute Menschen. Erasmus würde sich nie von der Macht verleiten lassen, sonst hätte er das längst schon getan, nicht wahr?« Sie wandte sich Collonta zu. »Dabei sitzt er hier mit uns in einem Dreckloch, mit nichts als den Klamotten, die er am Leib trägt, und einer ollen Blechschüssel in der Hand, während Morbus wie ein König lebt.«
    »Eben«, sagte Collonta verdrießlich. »Ein guter Mensch kann seine Selbstsucht überwinden und ans Wohl aller denken. Vor allem wenn ihm die Mittel zur Verfügung stehen, wirklich etwas zu bewirken. Und falls die Leute schreiend weglaufen, wenn wir ihnen unsere Dienste anbieten, nun, dann muss man sie vielleicht ein wenig zu ihrem Glück zwingen, indem -«
    Loo unterbrach ihr Gespräch mit einem heiseren Ruf. Sie hatte sich kerzengerade aufgesetzt und ihre Augen rollten.
    »Und wenn du fertig bist … dann bist du wirklich eine Dichterin. Das erste weibliche Mitglied, wenn man es genau nimmt, da Nevera nie selbst ein Buch geschrieben hat.«
    »… Loo?« Ängstlich berührte Fredo ihre Schultern. »Hörst du mich?«
    »Nein, lass sie«, zischte Collonta, richtete sich auf und kam näher. »Das war eine Erinnerung an die Dichter! Sie hat den letzten Satz wiederholt, den sie vor dem Eingriff aufgeschnappt hat!«
    Gebannt starrten alle Loo an. Dann sagte sie noch einmal: »… wirklich eine Dichterin. Das erste weibliche Mitglied, wenn man es genau nimmt, da Nevera nie selbst ein Buch geschrieben hat. Apolonia! Ich heiße Apolonia! Ich bin nicht Loreley!«

    Ihr Kopf nickte zur Seite und sie fiel bewusstlos in Fredos Arme. Entsetzt starrte er sie an, dann wandte er sich mit glänzenden Augen zu Collonta um. »Was war das? Das war nicht Loo!«
    Collonta fuhr sich zitternd über die Stirn. »Nun ist sie also wirklich eine von ihnen geworden. Der Dichter, der Loo ihre Gabe geraubt hat … das war Apolonia.«
     
    War es möglich? Konnten die Dichter jemanden so stark beeinflussen, dass er einen anderen Menschen bewusst zerstörte? Tigwid konnte, er konnte nicht glauben, dass Apolonia etwas so Schreckliches getan hatte. Trotzdem: Er brauchte Gewissheit.
    Nachts wälzte er sich hin und her. Das kleine Feuer im Raum warf unruhige Schatten, und Collonta, Fredo und Fuchspfennig, die bei Loo saßen und miteinander flüsterten, hielten ihn wach. Schließlich stand er auf und setzte sich zu ihnen.
    »Ich habe einen Entschluss gefasst«, sagte er langsam und merkte, dass es wirklich so war. »Ich muss Apolonia sehen. Ich muss wissen, was passiert ist.«
    Fuchspfennig riss die Augen auf. »Zu spät! Sie ist eine Dichterin, hat sich Loos Gabe angeeignet, und du bist nicht mal ein Geisterherr. Sie wird dich überwältigen, mit links.«
    »Sie kennt mich! Wir waren … wir sind Bekannte. Sie wird mir nichts tun. Aber zuerst muss ich sie finden.« Er drehte sich Collonta zu. »Wollen Sie mir helfen?«
    Der alte Geisterherr schwieg eine Weile. Der Flammenschein ließ die Falten um seine Augen tiefer wirken und leuchtete kalt und ruhelos in seinen Augen. »Sie hat sich verändert, Tigwid. Dein Mut ist bewundernswert, doch ich fürchte, mit Worten wirst du nichts mehr bewirken können. Jedenfalls nicht mit den Worten, über die du verfügst.«

    Ohne darauf einzugehen, sagte Tigwid: »Ich brauche den Grünen Ring. Bitte lassen Sie mich ihn benutzen. Und ich werde Apolonia finden, wie Sie Loo gefunden haben.«
    Collonta schüttelte den Kopf. »Man kann nur an Orte, die man kennt, und da sich die Dichter höchstwahrscheinlich in einem Versteck befinden, das du noch nie betreten hast, ist die Sache aussichtslos. Was Loo betrifft, so konnten wir sie nur finden, weil sie innerhalb der letzten Stunden an Fredo, mich oder einen anderen von uns, der im Grünen Ring

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