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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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geschrieben.
    »Sie ist so, seit wir sie gefunden haben«, sagte Collonta und schüttelte betrübt den Kopf. Als Tigwid ihm einen fragenden Blick zuwarf, fuhr Collonta fort: »Sie haben sie in einem Hauseingang liegen lassen, nahe unserer Wohnung. Offenbar sind sie zu uns aufgebrochen und haben sich ihrer auf dem Weg entledigt.«
    »Wird sie überleben?«, fragte Tigwid so leise, dass Fredo ihn nicht hörte.
    Collonta stützte sich schwer auf seinen Gehstock und betrachtete das Mädchen. »Sie wird nicht mehr dieselbe sein. Danach sind sie nie mehr dieselben.«
     
    Emil öffnete noch mehr Konservendosen, und sie aßen gemeinsam zu Abend, während Loo in eine Art Fieberschlaf sank. Hin und wieder murmelte sie unverständliche Worte, führte ruckartige Bewegungen aus oder verzog das Gesicht zu Grimassen - mal in Verzweiflung und Schmerz, dann lachte sie lautlos oder rief wirres Zeug.
    Laus war vor einer halben Stunde gegangen, um, wie sie behauptet hatte, ihre Katzen zu füttern. In Wahrheit, so vermutete Tigwid, konnte die etwas exzentrische Geisterherrin die Umgebung nicht ausstehen und machte sich deshalb so schnell wie möglich davon. Er konnte es ihr nicht verdenken. Die schummrige Dunkelheit und das Wissen, fünfzig Meter unter den Straßen in gruftähnlichen Katakomben zu sitzen, wo einen niemand außer den gefährlichsten Banditen finden konnte, waren nicht unbedingt Balsam für die Seele. Abermals streifte Tigwid die Hoffnung, dass dies nur ein vorübergehender Unterschlupf für sie sein würde. Er vermisste jetzt schon den Himmel. Vielleicht hätte er Mart und Kairo begleiten
sollen, die mit Laus aufgebrochen waren, um die Lage in ihrer Wohnung zu erkunden.
    »Sie haben ihr nicht alles genommen«, bemerkte Zhang und wies auf die Schlafende. »Sieht so aus, als wäre Loos Gehirn dabei, die durcheinandergebrachten Erinnerungen zu ordnen. Das heißt, sie hat wenigstens noch welche.«
    Fredo schien nicht besonders aufgemuntert. Schon seit einigen Minuten rührte er geistesabwesend in seinem Linseneintopf, ohne einen Bissen zu nehmen.
    »Aber ihre Gabe hat sie bestimmt nicht mehr«, murmelte Rupert Fuchspfennig düster und schob sich die Brille zurecht. »Die Dichter lassen ihre Opfer doch nur am Leben, um uns zu verspotten. Sie werfen uns die ausgehöhlte Frucht zu, nachdem sie das kostbare Innere herausgeholt haben.«
    Collonta nickte ihm zu. »Sie war eine so begabte Geisterherrin.«
    Plötzlich senkte Fredo seine Schüssel. Ohne jemanden anzusehen, knurrte er: »Tut nicht so, als wäre sie tot. Loo lebt. Und sie ist alles andere als eine ausgehöhlte Frucht !«
    Fuchspfennig schluckte hörbar.
    »Rupert hat es nicht so gemeint«, beschwichtigte Collonta ihn. »Wir sind alle so erschüttert wie du, Fredo. Du bist nicht der Einzige, der sie liebt! Ruperts Bemerkung war rein politisch gemeint.«
    »Politisch!« Fredo spuckte das Wort aus. Einen Moment sah es so aus, als wolle er noch mehr sagen, und die Luft schien aus dem Raum zu weichen; doch dann stieß er bloß ein Grollen aus, erhob sich und setzte sich neben Loos Lager. Eine Weile herrschte Schweigen. Nur das Klappern der Löffel und Schüsseln war zu hören.
    »Wenn Apolonia die Seite wechseln und zu uns kommen würde … was würden wir denn dann eigentlich tun?« Noch während Tigwid die Frage aussprach, merkte er, dass dies
nicht der rechte Zeitpunkt gewesen war. Momentan schien niemand, nicht einmal Zhang, dazu aufgelegt, irgendwelche unwahrscheinlichen Möglichkeiten weiterzuspinnen.
    »Wir würden die Verbrechen der Dichter verhindern«, sagte Collonta schlicht und nahm einen Löffel Linseneintopf.
    »Ja, ja, aber ich meine danach - wenn es keine Dichter mehr gäbe, was dann? Gäbe es dann noch den TBK?«
    »Natürlich!« Fuchspfennig sah Tigwid an wie ein begriffsstutziges Kind.
    »Und wofür?«
    Fuchspfennig wollte zu einer langen Antwort ausholen, doch Collonta unterbrach ihn. »Verstehst du, Tigwid, wir wollen uns zu unseren Gaben bekennen und sie mit Verantwortung tragen. Mehr noch, wir wollen sie einsetzen, um der Menschheit zu dienen. Dafür müssen wir erst mal die Dichter beseitigen.«
    »Danach«, fuhr Fuchspfennig fort und tippte mit dem Löffel in die Luft, »werden wir uns da nützlich machen, wo unsere Gaben am wirkungsvollsten eingesetzt werden können: in der Regierung.«
    »Denk mal darüber nach, welche Sicherheit wir dem Volk bieten könnten«, sagte Collonta, als er Tigwids perplexen Blick bemerkte. »Die Fähigkeiten der

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