Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
Treuen Bund. Sie wäre längst zurückgeflogen, hätten Mart, Fuchspfennig, Kairo und Laus nicht ihre ganze Kraft dagegengehalten. Stockend, als würde jemand die Dynamitstange schieben, kam sie auf den Treuen Bund zu. Sekunden verstrichen. Dann war die Zündschnur abgebrannt.
»Runter!«, schrie Tigwid.
Sie ließen sich nach hinten fallen und schützten ihre Köpfe mit den Händen. Das Dynamit sprengte den Gang. Die Wände barsten zu allen Seiten. Steinbrocken lösten sich aus der Decke und zertrümmerten den Boden. Tigwid rang keuchend nach Luft. Seine Lungen füllten sich mit Staub.
Nach Minuten, so schien ihm, fand er endlich die Kraft, auf die Beine zu kommen. Das Licht war verschwunden… nein, irgendwo aus weiter Ferne drang ein Schimmer zu ihnen. Im braunen Dunst suchte Tigwid nach seinen Freunden und half Kairo und Bonni hoch. Allmählich sanken die rauchenden Schwaden und auch die anderen Mitglieder des Treuen Bunds richteten sich hustend und stöhnend auf. Gebannt starrten sie in die Richtung, wo die Dichter gewesen waren.
Gestalten schälten sich aus dem trüben Rauch. Kaum hatten sie die Dichter erkannt, geriet der Rauch in Wallung, und ein mächtiger Energiestoß raste auf sie zu. Gerade rechtzeitig stemmten die Geisterherren sich dagegen. Ein heißer Wind zerrte an ihren Kleidern. Tigwid kniff die Augen zu. Seine Haut begann überall zu kribbeln, als würden elektrische Funken auf ihm hüpfen. Fuchspfennig drehte die Hände und ein großer Mauerbrocken schoss auf die Dichter zu. Kurz vor ihnen explodierte er in hundert Splitter. Ein wütendes Brüllen war zu hören.
»COLLONTA!«, kreischte eine weibliche Stimme. »Hör auf mit den Spielchen! Kämpfe! Kämpf richtig!«
Wieder rasten heiße Luftwogen auf sie zu. Das elektrisierende Kribbeln wurde so unerträglich, dass Tigwid sich krümmte. Es fühlte sich an, als würde ihn jemand häuten.
»Was ist?«, brüllte Nevera. »Komm schon!«
»Hier bin ich!«
Alle fuhren herum. Plötzlich stand Collonta in ihrer Mitte.
»Erasmus -« Fuchspfennig keuchte.
»Wo ist Loo?«, fragte Fredo alarmiert.
Ohne zu reagieren, schritt Collonta an ihnen vorbei auf die Dichter zu. »Ihr wollt mich. Dann lasst meine Kameraden gehen. Tretet zur Seite … und ich werde mich ergeben.«
Nevera stieß ein kurzes, höhnisches Lachen aus. »Meinst du das ernst?« Sie warf den Dichtern ringsum amüsierte Blicke zu, doch als sie wieder Collonta ansah, funkelten ihre Augen vor Misstrauen. »Na schön. Du gegen deine kleinen Lehrlinge.«
»Schwört - schwört bei euren und unseren Gaben, dass ihr sie gehen lasst.«
Nevera nickte. »Abgemacht!«
Collonta seufzte. Dann schritt er durch den zerstörten Gang auf die Dichter zu.
»Erasmus!«, schrie Fuchspfennig. Fassungslos taumelte er einen Schritt vor. »Nein! Aber -«
»Was tut er da?«, stammelte Bonni.
Tigwid verstand es nicht. Sein Herz schlug schmerzhaft schnell, doch er fand seine Stimme nicht. Collonta hatte die Dichter fast erreicht. Nevera schwankte mit einem lauernden Lächeln hin und her und konnte ihre Erregung kaum verbergen. Die Dichter hatten die Hände in Bereitschaft verkrampft. Nevera und Morbus tauschten flüsternde Worte, ohne Collonta aus den Augen zu lassen. Zwei Schritte trennten sie voneinander.
Dann blieb Collonta zögernd stehen. »Nun lasst die anderen vorbei.«
Nevera trat zur Seite und hielt den Kopf so tief, dass es fast wie eine Verneigung aussah. »Bitte - du darfst sie rufen.«
Collonta drehte sich zum Treuen Bund um. Sein Gesicht sah plötzlich vollkommen verändert aus; unsägliche Traurigkeit überschattete seine Züge und ließ die tiefen Falten verblassen. »Beeilt euch, Freunde.«
In diesem Augenblick reichte Morbus Nevera seine Pistole. Hinter dem Treuen Bund stieß jemand einen schrillen Schrei aus. Ein Knall, wie ein Donnerschlag.
»NEEIN!« Collonta fiel auf die Knie. Im selben Moment stürzte ein zweiter Collonta an Tigwid vorbei. »NEEIN!«
Der getroffene Collonta war verschwunden. An seiner Stelle kniete Zhang auf dem Boden. Zitternd fassten ihre Finger nach dem Blut, das ihr aus der Brust strömte. Dann kippte sie um.
Tigwid konnte nicht schreien. Er konnte sich nicht regen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Zhang an, die vor den Füßen der Dichter starb.
»Was ist das?«, kreischte Nevera.
Der Gehstock fiel Collonta aus der Hand. Am ganzen Körper
bebend, stand er da und starrte die Tote an. Tränen sammelten sich in den Runzeln um seine Augen. Dann
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