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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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mehr blind.«
    Tigwid war der Einzige, der sie hörte. Dann hatte Fredo sie durch die Tür geschoben.
     
    Die Bundmotten zerrten Apolonia durch die Irrgänge, bis Fuchspfennig stehen blieb und Mart und Fredo einen mächtigen Pflasterstein aus dem Boden hoben, unter dem sich ein geheimer Bunker befand. Eine Leiter führte in die Finsternis. Die Motten stießen Apolonia hinunter. Noch bevor sie die Sprossen ganz hinabgeklettert war, wurde der Stein wieder über die Öffnung geschoben, und sie blieb in undurchdringlicher Schwärze zurück.
    Mit einem zitternden Atemzug ließ sie die Leiter los, taumelte und sank auf kalten, feuchten Boden. Dort blieb sie liegen und wagte nicht, sich zu rühren. Ihr heiseres Atmen klang erschreckend laut in der Finsternis. Nach einer Weile streckte sie die Hände aus, wischte sich das Blut von der Nase und
betastete den Boden, doch sie konnte sich aus Angst nicht vom Fleck bewegen. Sie grub die Fingernägel in die Erde, presste das Gesicht in den Boden und schluchzte.
    Ihr ganzer Rücken brannte vom Angriff der Motten. Die Finsternis ringsum ließ ihr Herz vor Panik rasen. Aber kein Schmerz, kein erdenklicher Schmerz war so entsetzlich wie der darüber, dass sie ihre Feinde nicht erkannt, sondern unterstützt - und bewundert hatte.
    Immer wieder hörte sie Loo, die Morbus’ Worte wiederholte … Und wenn du fertig bist … dann bist du wirklich eine Dichterin. Das erste weibliche Mitglied, wenn man es genau nimmt, da Nevera nie selbst ein Buch geschrieben hat.
    Apolonia weinte, rieb die Stirn gegen die Erde, schüttelte den Kopf, schüttelte ihn immer wieder. Wie hatte sie so dumm sein können? Wie hatte sie es überhören können? Er hatte gesagt, dass sie die erste Dichterin sein würde… Ihre Mutter war also nie eine Dichterin gewesen.
    Magdalena hatte auf der Seite des Treuen Bunds gekämpft. Morbus hatte sie nie besucht, hatte nie an den Riten im Salon teilgenommen. Und die Fremde, mit der Magdalena in der Nacht ihres Todes gestritten hatte - das war eine Frau gewesen. Nevera.
    »Mama«, schluchzte Apolonia in die Schwärze, in die Stille, in ihr Grab. »Mama, Papa! Gott, Vampa… Tigwid… es tut mir so leid. Es tut mir so leid!«
    Sie hatte alles falsch gemacht. Wahrscheinlich verdiente sie es, hier zu sein, einsam und verlassen, um auf den Tod zu warten. Wenn ihre Mutter wüsste, was sie getan hatte, würde sie sich in ihrem Sarg wälzen und nicht weniger leiden als Apolonia jetzt.
    So lag sie da, in dunkler Stille, unter Tonnen von Gestein, Erde und Verzweiflung. Mit der Gewissheit, an ihrem größten Elend selbst schuld zu sein.

Raum und Zeit

    J etzt!«
    Tigwid, Fredo und Mart holten gleichzeitig aus und warfen ihre Dynamitstangen. Dann stürzten sie sich in den Seitengang zu den anderen in Sicherheit. Die Gewölbe erbebten. Schreie erklangen und zerrissen in der Luft zu unmenschlichen Lauten.
    Langsam richteten sie sich wieder auf. Staub rieselte auf sie herab. Überall hingen Rauschschwaden.
    »Los!«, sagte Mart und lief ihnen geduckt durch den schummrigen Nebel voran. Verschwommen nahm Tigwid Gestalten wahr, die durch den Dunst taumelten oder auf dem Boden lagen. Er rannte schneller. Dann bogen sie in einen Gang ein und ließen die Halle hinter sich. Aus einem Korridor links kamen mehrere Blauröcke auf sie zu und schossen. Fuchspfennig entzündete eine Dynamitstange und warf sie den Polizisten zu. Die Männer flohen, ein Donnerschlag ließ die Wände zittern und der Treue Bund war weitergehastet.
    Von hier aus kannte Tigwid wieder den Weg an die Oberfläche. Der Gang würde sie in eine längliche Halle führen, von dort aus liefen mehrere Kanalschächte zu einer Steintreppe und Feuerleitern, die schließlich bei einem Ausgang endeten.

    Der Gang machte eine Biegung. Gleich konnten sie die Halle sehen… Das Licht an den Wänden knisterte, erlosch und ging wieder an. Irgendwo ganz nah wurden Schüsse abgefeuert.
    Dann sahen sie eine Gruppe am Ende des Ganges stehen. Es waren keine Polizisten und keine Banditen. Es waren fein gekleidete Herren und eine Frau in einem weißen Pelz.
    »Die Dichter! Halt!« Mart blieb stehen. Fuchspfennig sprang vor Schreck hinter Kairo, den er bis jetzt gestützt hatte.
    Plötzlich stieß Fredo ein Brüllen aus, rannte vier Schritte auf die Dichter zu und warf eine Dynamitstange.
    »Nein -!« Bonnis Warnung kam zu spät.
    Mehrere Dichter hoben die Hände. Die Dynamitstange blieb in der Luft hängen, genau zwischen den Dichtern und dem

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