Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
wäre. »Soligo, verschwinden Sie.«
»He - ich HAB’S verstanden. Keine Sorge. Hab’s kapiert!«
»Schön«, knurrte Bassar. Er hasste ihn. Am liebsten hätte er ihn sofort auf die Straße gesetzt. Aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund war Soligo tatsächlich erfolgreich und hatte schon viele Übeltäter gefasst. Nur leider sich selbst noch nicht.
Gerade wandte Fiz Soligo sich grummelnd um, da erschien ein gräulicher Fleck über der Statue Apollos.
»Da!« Ein untersetzter Kommissar deutete in den Himmel. »Eine Taube!«
Soligo fuhr herum. Er hatte seine Pistole schon gezogen und zielte auf den Vogel, der sich gurrend auf Apollos Arm niederließ und aufplusterte.
»Gut. Alles im Griff«, murmelte Soligo. Die Taube legte den Kopf schief und musterte den Menschenhaufen unter ihr
eine Weile interessiert; dann spreizte sie die Flügel, segelte elegant über ihre Köpfe hinweg … und ließ etwas fallen. Auf Soligos ehrenwertes Haupt.
»Verfluchte -« Die Pistole in seiner Hand ging los, als er erschrocken zur Seite sprang. Die Kugel zischte durch die Luft und bohrte sich mit einem Knall ins Knie des steinernen Gottes.
»SOLIGO!« Bassar sprintete auf dem Weg zu den Polizeiwagen an ihm vorbei. »Das werden Sie teuer bezahlen. Das kommt in Ihre Akte!«
»Diese - Taube !« Puterrot im Gesicht blickte Soligo zu seinen Haarwellen auf, von denen es weiß herabtröpfelte. Seine Unterlippe begann, angewidert zu zittern.
»Kopf hoch, Herr Kollege. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, lieber Kopf runter.« Mebb lächelte und folgte eilig Bassar und den Kommissaren. Die Taube flog bereits die Straße hinauf.
Zum Teeladen
W o sind wir hier … ist das überhaupt noch ein Teil der Stadt?«
»Das hier ist die wahre Stadt.«
Apolonia blickte sich mit gerümpfter Nase um. Die Häuser standen so eng, dass man mit einer ordentlichen Kutsche kaum hindurchgepasst hätte. Wäscheleinen spannten sich über ihren Köpfen von Wand zu Wand. Manche Hauseingänge hatten keine Türen mehr, Fenster waren mit Brettern vernagelt und überall türmte sich der Dreck auf.
Apolonia hielt sich den Schal vor Mund und Nase; nicht nur wegen des Gestanks, sondern auch aus Angst vor ansteckenden Krankheiten. Man wusste ja nie - vielleicht hatte die Pest das Mittelalter in dieser Gegend überdauert. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus, als sich plötzlich etwas im Abfall bewegte. Ein Mann, über und über in Lumpen gehüllt, richtete sich träge auf und entblößte den fast zahnlosen Mund in einem Grinsen. »He, he, Jorel!«, schnaufte er.
»Mart! Wie geht’s? Was machst du so?« Tigwid lief auf den Dreckmann zu und schüttelte ihm ausgiebig die Hand. Apolonia hätte lieber in eine rohe Leber gebissen.
»Och, man tut, was man kann. Guck mal, ich hab meine Knopfsammlung fast vervollständigt.« Er kramte in seinem
Deckenlager und zog einen langen Lederlappen hervor, auf den Knöpfe genäht waren.
»Oah«, machte Tigwid und beugte sich vor. »Wo hast du denn das Exemplar da aufgegabelt?« Er wies auf einen zerkratzten Goldknopf. Der alte Mart nickte verlegen wie ein Schulmädchen. »Man hält die Augen eben offen, nich wahr?«
»Hm-hm.« Beiläufig fügte Tigwid hinzu: »Übrigens, das ist Poli,’ne Freundin von mir.«
Marts Blick wanderte zu Apolonia. »’n feines Fräulein hast du da im Schlepptau, Jorel. Woher kennt ihr euch denn?«
»Man hält die Augen eben offen, nicht wahr?«
Ungeduldig trommelte Apolonia mit den Fingern auf ihre Arme. Sie hatten keine Zeit für Witzchen mit einem Bettler! Sie räusperte sich laut. »Entschuldigung - ich unterbreche euer Gespräch wirklich ungern. Aber wir müssen weiter.«
Mart runzelte die Stirn. »Is das so?«
Tigwid zuckte die Schultern. »Tja, ist wahr. Aber wir reden wann anders darüber - du wirst die Knöpfe lieben, die ich dann mitbringe, versprochen.«
»Freu mich schon drauf. Mach’s gut, Jorel!«
»Du auch, Mart!«
Sie gingen weiter. Erst als sie um die nächste Straßenecke gebogen waren, brach Apolonia ihr Schweigen. Ruhig fasste sie zusammen: »Wir sind hier auf dem Weg zu Eck Jargo , dem berüchtigtsten Räuberversteck aller Zeiten, um in einem Buch der Antworten zu lesen, und du hältst an, um gemütlich mit einem Penner zu plaudern!«
»Mart ist kein Penner! Nur ein bisschen . Aber zufällig ist er ziemlich wohlhabend und kauft mir mehr Knöpfe ab als jede Näherei. Kunden sind nun mal Kunden.«
»Egal«, seufzte Apolonia.
»Was ist los?
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