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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Teufel … ist mit dir los?«, fauchte Apolonia. »Auch wenn du gerade im Wachstum steckst und offenbar nicht über die finanziellen Mittel verfügst, um dich anständig zu ernähren, ist das kaum der richtige Zeitpunkt für Wiener Würstchen !«
    »Aus dem Weg.«
    Apolonia wich erschrocken zurück, als die Männer um die Ecke bogen. Tigwid warf ihrem Anführer die Würstchen direkt ins Gesicht. Gibb Molk verfing sich nur kurz in den Ketten, aber doch lange genug …
    »Was soll das sein, ein dummer Scherz?«, brüllte er. Tigwid riss Apolonia fort. Gerade als die Männer ihnen nachsetzen wollten, erschien der Metzger.
    »Diebe!«, donnerte er. Eine dichte Menschenmenge sammelte sich, vom Ruf alarmiert, um die Männer und den Metzger. »Meine guten Würste! Dafür werdet ihr bezahlen …«
    Tigwid und Apolonia hatten das Ende des Weihnachtsmarktes
erreicht, als die ersten Wachmänner beim Metzger und seinen Wurstdieben ankamen. Keuchend flüchteten sie über die Straße und lehnten sich in einer dunklen Seitengasse gegen eine Hauswand. Mehrere Augenblicke rangen sie nach Atem. Dann stützte Tigwid die Hand in seine Seite und wies mit einem ungnädigen Wink zum Markt zurück. »Das … ist mein täglicher Morgensport.«
    »Bist du übergeschnappt?« Apolonia stampfte mit dem Fuß auf, obwohl sie sich noch ganz schwach auf den Beinen fühlte. »Ich dachte, ich werde gleich aufgeschlitzt! Was hast du den Kerlen getan?«
    »Nichts, gar nichts!«, verteidigte sich Tigwid. »Manchmal gerät man einfach an Leute, die überreagieren, wenn man sich mal was ausborgt oder beim Poker zu ein paar Hilfsmitteln greift.«
    Apolonia verdrehte die Augen. »Und du willst auf dich selbst aufpassen können!«
    Tigwid strich sich manierlich die Haare zurück. »Ich bevorzuge eben einen ereignisreichen Lebensstil. Also, wollen wir weiter?«
    »Wo sind wir hier überhaupt?«, fragte sie, als Tigwid die dunkle Gasse hinaufdeutete. Aus einem Fenster schüttete jemand Abfälle auf die Straße. Ein fauliger Fischkopf rollte direkt vor Apolonia.
    »Keine Angst, ich beschütze dich«, erklärte Tigwid.
    »Ach, hast du noch ein paar Würstchen parat?«
    Er grinste. Beschwingten Schrittes lief er durch die finsteren Gassen, Apolonia stapfte hinterher. Die Schnürsenkel schlenkerten ihr bei jedem Schritt um die Füße und waren schon ganz nass.
    »Wieso haben die dich Jorel genannt?«
    »So heiße ich. Unter anderem.« Tigwid schielte zu ihr herüber. »In Wirklichkeit magst du mich.«

    Apolonia starrte ihn an. »Du meinst wohl, wie ich in Wirklichkeit auch Mumps und Molke mag.«
    Er grinste.

Vogelschau für Bassar

    I m Polizeipräsidium begann der Tag wie jeder andere: nämlich hektisch. Der erste Schneefall tat sein Übriges, und schon früh am Morgen tummelten sich in den langen Gängen und auf den breiten Treppen die ersten Streithähne, die in einen Straßenunfall verwickelt waren. In den unteren Stockwerken hatten sich bereits lange Schlangen vor den Büros gebildet; zerlumpte Trunkenbolde, die kaum aufrecht stehen konnten, fein gekleidete Herren mit blutenden Nasen und grell geschminkte Damen drängten sich in kleinen Wartezimmern und engen Korridoren zusammen, und wann immer ein Beamter vorbeikam, donnerte es: »Rauchen ist im Gebäude nicht gestattet!«
    Weiter oben, im fünften Stock, war es wesentlich ruhiger. Der Lärm hing verzerrt in der kühlen Luft, dafür hallten die Schritte umso lauter in den Gängen wider, denn die Decken waren hoch. Hier hatte der Inspektor sein Büro.
    Bassar steckte sich eine Zigarette in den Mund und blies den Rauch gegen die Glasscheibe. Es war ein großes Fenster, durch das zu jeder Tageszeit Licht fiel. Das Büro des Inspektors war geräumig, aber kahl. Die Mitte des Raumes wurde von einem wuchtigen Schreibtisch eingenommen, dahinter zog sich ein langes Regal hoch. An der gegenüberliegenden
Wand standen zwei Stühle - mehr Möbel gab es nicht. Dafür lagerten überall Akten, Briefe, Berichte, Ordner und Gerichtsbücher. Unter anderem ließ sich auch hier und dort ein Beweisstück finden: Über einer Stuhllehne hing ein uraltes Toupet, das sich im Gerichtsprozess als unwichtig erwiesen hatte. Seitdem staubte es unbeachtet vor sich hin.
    Bassar nahm einen zweiten Zug. Eigentlich mochte er Zigaretten nicht, sie kamen ihm unfein vor, auch wenn er das so nie zugegeben hätte. Aber im langen Umgang mit Halunken und Verbrechern, während endloser Beschattungen in kalten Nächten und Aufenthalten in

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