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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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mehr unmittelbar hinter dem Professor.
    Apolonia fragte sich, ob Tigwid wirklich mit einem Messer umgehen konnte. Irgendwie war es schwer vorstellbar, dass er mit Waffen kämpfen konnte - schließlich war er doch kaum älter als sie selbst. Andererseits hätte sie auch nie gedacht, dass sie einmal durch eine Opiumhöhle sprinten würde, eine mordlustige Verbrecherbande auf den Fersen. Die Welt war voller Überraschungen.
    Irgendwann erschien ein schummriger Lichtfleck vor ihnen.
    »Da ist es schon, Kinder. Labyrinth. « Der Professor deutete nach vorne. Das matte Licht zeichnete ihre Umrisse nach, und Apolonia sah, dass der Mann torkelte. Er stand ganz offensichtlich unter dem Einfluss von Rauschgift.
    Vor ihnen tauchte eine Türöffnung auf. Der Professor trat ins körnige gelbe Licht und strich langsam seinen Kragen glatt. Dann wandte er sich zu Tigwid und Apolonia um. Zögernd kamen sie aus dem schmalen Gang. Sie befanden sich in einem Zimmer voller Schatten, sodass man seine Größe nicht einschätzen konnte. Aus den Augenwinkeln sah Apolonia, dass sie nicht alleine waren. Ein Kreis aus dunklen Holztischen stand zu ihrer Linken, an denen sechs Männer saßen. Und lasen.
    Sie lasen aus dicken, großen Büchern, hatten sich tief über die Seiten gebeugt, und die Öllampen auf den Tischen ließen Schatten über ihre Rücken hüpfen.
    »Meister«, hauchte der Professor und fuhr sich über seine zerknitterte Weste. Die sechs Männer regten sich. Träge hoben sie die Köpfe, das schwankende Licht erhellte ihre Gesichter.
Apolonia hatte das Gefühl, zu einem Eiszapfen zu gefrieren, als sich zwei flackernde dunkelgrüne Augen auf sie richteten.
    Professor Ferol neigte den Kopf und fuhr nervös mit den Händen durch die Luft.
    »Ich habe ganz zufällig den Jungen getroffen, Meister, er ist mir sozusagen in die Arme gerannt, und mit ihm das Mädchen!«
    Apolonia konnte sich nicht bewegen, als ein Lächeln über das bleiche Gesicht des Mannes kroch. »Na so was. Es ist also Magdalenas Tochter. Das Ambiente lässt zwar sehr zu wünschen übrig, aber es freut mich, dich wiederzusehen.«
    Sie schluckte trocken, um ihre Stimme zu finden. »Was tun Sie hier, Herr Morbus?«
     
    Jonathan Morbus strich mit dünnen Fingern über die aufgeschlagene Seite seines Buches, dann klappte er den schweren Folianten zu und erhob sich. Er war längst nicht so gepflegt und vornehm wie am Hochzeitstag von Apolonias Tante - fettige Strähnen hingen ihm ins Gesicht und sein Schlips saß locker - und doch schien die Nachlässigkeit seine natürliche Eleganz nur zu unterstreichen. Die Schatten unter den Augen und Wangenknochen schmeichelten ihm beinahe. Apolonia merkte, wie Tigwid sich neben ihr anspannte, als Morbus um den Tisch herum auf sie zukam.
    »Wer sind Sie?«, fragte er. Der träge Blick des Schriftstellers hing einen Moment an ihm; dann wandte er sich an Professor Ferol und machte einen kleinen, müden Wink mit der Hand. Der Professor stammelte: »Ja, Meister«, und fuhr zu Tigwid herum. »Du stehst den Dichtern gegenüber, Junge! Die Dichter, die Sammler und Schöpfer der größten und schönsten Geschichten der Erde! Das ist eine Ehre, eine Ehre , dem Meister und seinen Lehrlingen gegenüberzustehen!«

    Tigwid betrachtete den alten Professor mit gerunzelter Stirn. »Aha. Und wieso hast du uns hergeführt, Rufus?«
    Professor Ferol schien entrüstet, dass Tigwid ihn mit seinem Vornamen angesprochen hatte. Aber bevor er etwas sagen konnte, fiel ihm Morbus ins Wort.
    »Ich bin dir zu Dank verpflichtet«, sagte er und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Vielen Dank, Junge, dass du uns das Mädchen gebracht hast.«
    »Was?«, sagten Apolonia und Tigwid gleichzeitig. Sie sahen sich an.
    »Ich hab nicht -«, stotterte er.
    » Eck Jargo ist voller lauschender Ohren.« Morbus’ Gesicht tat sich zu einem dünnen Lächeln auf. Seine Zähne schimmerten blank wie aus einem Totenkopf. »Wir Dichter mögen nicht die Gabe des Hellsehens besitzen, aber wir wissen doch unser Gehör einzusetzen. Wir haben dich belauscht, Jorel, als du mit einer Mottenseherin in der Wiegenden Windeiche gesprochen hast. Wie hieß das Mädchen doch gleich? Ah ja, Bonni.«
    Apolonias Augen weiteten sich. Ihr Hals fühlte sich plötzlich sehr trocken an, als sie zu begreifen versuchte, was offensichtlich war. »Motten.«
    Die Blicke der Dichter richteten sich auf sie.
    »Sie - Sie sind eine Motte, Herr Morbus! Das war Tigwids Prophezeiung … Ich bringe ihn zum

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