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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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wildes Schießgetrommel in der Ferne. Eck Jargo wurde gestürmt!
    Ein Lächeln entfaltete sich auf ihrem Gesicht, erst zögerlich, dann immer breiter. Die staubigen Haarsträhnen wehten in ihrem Atem, als sie sich an die Dichter wandte, die über Tigwid erstarrt waren. »Ganz recht, ihr seid festgenommen, alle zusammen! Jetzt wird die ganze Welt erfahren, dass es Motten gibt, und ich habe euch gefasst. Legt die Männer in Handschellen!«, befahl sie den Polizisten triumphierend.
    Tigwid sprang auf.
    »Keine Bewegung!«, rief ein Polizist.
    »Du hast Eck Jargo verraten!«
    Apolonia sagte nichts. Was hatte er denn gedacht? Dass sie wirklich an einem blöden Buch interessiert war?
    »Meine Herren, hier liegt ein Missverständnis vor.« Morbus senkte langsam die Hände. »Ich möchte Sie bitten, hier einen Blick hineinzuwerfen. Es wird erklären und rechtfertigen, weshalb ich mich an diesem Ort aufhalte.« Gelassen öffnete er sein Buch und hielt es den Polizisten vor. Für Sekundenbruchteile glitten die Augen der Blauröcke über die Seiten. Damit besiegelten sie ihr Ende.

    Schreckensbleich beobachtete Apolonia, wie ein Polizist nach dem anderen seine Waffe fallen ließ. Starr kamen sie auf das Buch zu. Ihre Augen zuckten, so schnell lasen sie die Worte ab. Der Erste begann zu wimmern. Tränen liefen einem anderen übers Gesicht. Dann stießen sie gellende Schreie aus, zerrten an ihren Haaren und Kleidern und sanken zu Boden. Ihre Arme und Beine zuckten wie elektrisiert, dann bewegten sich die vier Männer nicht mehr. Ihre aufgerissenen Augen starrten ins Leere. Stille. Sie waren tot.
    Morbus klappte laut das Buch zu. Langsam drehte er sich zu Apolonia um. Nie in ihrem Leben hatte sie so viel Grauen verspürt wie in diesem Moment. Sie starrte Morbus an, der das Buch unter den Arm klemmte und schwarze Lederhandschuhe aus seinem Umhang zog. In der Ferne schwoll Kampflärm an, Schüsse fielen und Schreie hingen in der modrigen Luft.
    »Nanu. Unser kleiner Gossenbengel ist ja schon verschwunden«, bemerkte Morbus. Die Dichter richteten sich ächzend wieder auf und kamen auf sie zu. Apolonia wagte einen Blick hinter sich. Tigwid war tatsächlich nicht mehr da. Sie war ganz alleine …
    »Meine Herren, ich denke, es ist Zeit zu gehen.« Morbus klopfte sich den Staub vom Umhang, während die Dichter einen Kreis um Apolonia schlossen.

Vampas Bücher

    T igwid hatte oft denselben Albtraum gehabt. Er hatte geträumt, dass er irgendwo einschlief und von der Polizei gefunden wurde. Er hatte geträumt, dass er eingesperrt wurde und Handschellen trug, zu denen es keinen Schlüssel mehr gab. Aber dass Eck Jargo gestürmt werden könnte, das hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Als er den dunklen Geheimgang hinter sich gelassen hatte, durch das Zimmer des Professors rannte und in Laternenreich ankam, herrschte rings um ihn Panik. Kreischende Serviermädchen kamen ihm entgegen, Schüsse sprangen durch die Luft und rissen Löcher in die kunstvollen Holz- und Papierwände. Tigwid stolperte an Opiumträumern vorbei, die stöhnend aus ihren Betten krochen, er duckte sich unter dem Knüppelschlag eines Polizisten hinweg, drängte sich durch den dichten Strom flüchtender Menschen, die eine geheime Treppe nach oben nahmen, und konnte an nichts denken, als dass dies der Untergang war. Es war aus mit Eck Jargo . Für immer. Vielleicht auch mit seinem Leben.
    Hinter ihm knallte es. Ein Schrei erklang direkt neben Tigwid, ihm gefror das Blut in den Adern - ein Mann versank mit einem Kopfschuss in der Menge. Tigwid rang nach Luft. Schon drängten ihn die aufgebrachten Massen voran.

    Die Treppe führte an die eisenbeschlagene Tür von Laternenreich . Sie war aufgebrochen. Drei Polizisten standen auf der Schwelle und feuerten in die Menschenmenge. Warme Flüssigkeit spritzte Tigwid auf Stirn und Haare, er duckte sich erschrocken und spürte, wie er nach hinten gedrängt wurde, als die vordersten Männer erschossen zurücksanken. Fremde Füße stiegen auf seine, Ellbogen stießen ihm in die Rippen. Dann waren die drei Polizisten mit Schlägen und Tritten überwältigt und die Flüchtlinge rannten einfach über sie hinweg.
    Keuchend taumelte Tigwid mit und fand sich in Bluthundgrube wieder. Die Bilder, die sich ihm boten, waren viel zu grotesk, als dass er sie hätte begreifen können. Ein Boxer hing mit mehreren Kugeln in der Brust in den Seilen. Die Gläser und Flaschen an der Theke waren zerbrochen, die Tische umgeworfen.

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