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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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und ging eiligen Schritts den Korridor hinunter.
    »Irgend-, was?! Tigwid!«
    Er winkte zu ihr zurück. »Beeil dich, Poli. Und mach die Tür zu!«
     
    Zwei Stunden und fünf Ecken später saß Apolonia an einem engen Holztisch. Mit schmalen Lippen nippte sie an ihrem Wasser. Tigwid saß neben ihr, ein Malzbier in den Händen, und starrte trübe vor sich hin. Auch die spärlich bekleidete Tänzerin, die ihr Hinterteil unermüdlich vor Apolonia schwenkte, schien ihn nicht aufzumuntern, im Gegenteil. Je zorniger Apolonias Blick dem gemächlich dahinschwebenden Rüschenrock folgte, desto unangenehmer schien ihm die Situation zu werden. Er hob sein Glas, als die Männer in der Roten Stube zu pfeifen begannen, und schluckte hörbar. Dann besah er Apolonia mit einem beunruhigten Seitenblick. Sie wirkte seltsam apathisch.
    »Geduld«, sagte er. »Ich weiß, dass wir es finden. Wir müssen bloß Geduld haben. Mir wurde ja prophezeit, dass du mich hinbringen wirst.« Er verstummte, als sie nicht auf ihn
reagierte. Er räusperte sich. »Bist du müde? Du könntest dich bei mir schlafen legen. Willst du? Ist kein Problem, ich warte solange draußen.«
    »Halte einfach den Mund.«
    Tigwid beschloss, der Bitte Folge zu leisten. Apolonia schob das Kinn vor. »Ich bin dir hierher gefolgt, habe mich von einem muffigen Dreckloch zum nächsten schleppen lassen, ich habe mehr Tätowierungen, mehr Blut, mehr - mehr Bier und Besoffene und mehr Gewehre und Hintern gesehen, als ich in meinem Leben vorhatte! Wo ist dein Buch? Wo ist es?« Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber sie schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab. »Na fein, du willst hier warten, bis eine bescheuerte Prophezeiung eintritt? Dann warte! Ich zerfalle inzwischen zu Staub, wenn es dir recht ist.« Wütend verschränkte sie die Arme und stierte zu den Tänzerinnen auf. Ihr Gemurmel von Lustmolchen ging im allgemeinen Gepfeife und den anzüglichen Rufen der Zuschauer unter.
    Tigwid wusste nicht, was er erwidern sollte. Eine Weile beobachteten sie stumm die Tänzerinnen.
    »Also, ich habe Vertrauen ins Schicksal«, sagte er leise. »Es wird alles so kommen, wie es kommen soll. Mit nur ein bisschen Geduld.«
    »Mir reißt gleich die Geduld!«
    »O Gott.«
    »Ja, du sagst es. Endlich sagst du -«
    »Duck dich.« Er zog sie auf den Tisch runter. Verwirrt folgte sie seinem Blick - und erstarrte. Am Eingang neben den Tresen war eine Gruppe von Männern erschienen. Ohne die Würstchen und Handschellen sahen sie erheblich bedrohlicher aus.
    »Alles in Ordnung«, keuchte Tigwid. »Du musst mir jetzt einfach vertrauen.«

    Apolonia warf ihm einen scheelen Blick zu. »Die sind hinter dir her, nicht mir.«
    »Du bist meine Freundin, das reicht denen, um dich zu jagen.«
    Apolonia stockte einen Augenblick. »Freundin?«
    »Jemand, der mich zur Antwort meiner sehnlichsten Frage bringt, ist nun mal eine Freundin«, sagte Tigwid ungeduldig. »Tut mir leid, dass nicht jeder so ein Einsiedlerkrebs ist wie du.«
    Aus irgendeinem Grund kränkte es sie plötzlich, dass Tigwid sie für einen Einsiedlerkrebs hielt. Für Pikiertheit blieb aber keine Zeit. Tigwid erhob sich, und Apolonia schlich hinterher, während die Männer in entgegengesetzter Richtung an den Tresen entlanggingen. Glücklicherweise galt ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich den Tänzerinnen, die ihre Beine nun im Takt durch die Luft schwangen.
    Tigwid ging nicht zum Ausgang, sondern zu den Bühnenvorhängen.
    »Meinst du wirklich, dass das klug ist?«, raunte Apolonia, als er hinter den roten Fransenvorhang schlüpfen wollte.
    »In so was hab ich Erfahrung.« Damit war er verschwunden. Apolonia knirschte mit den Zähnen, folgte ihm aber eilig.
    Sie traten in einen engen Gang, der links zur Bühne führte und rechts an mehrere Zimmertüren grenzte. Leise schlichen sie an den Türen vorbei.
    »Hier irgendwo muss doch ein Notausgang sein«, murmelte er. Vor der letzten Tür blieb Tigwid stehen, legte die Hand auf die Türklinke und machte auf.
    Ein Dutzend halb bekleideter Tänzerinnen fuhr herum. Hinter einem Sammelsurium von Kleidern, Federboas und Spiegeln war eine offen stehende Tür, hinter der eine Treppe nach unten führte.
    Tigwid strahlte. »Volltreffer!«

    Die Tänzerinnen stießen schrille Schreie aus, während sie ihre Blöße damenhaft zu verbergen versuchten, und ließen einen Hagel rüpelhafter Schimpfwörter auf Tigwid niederprasseln. Das Geschrei und Gezeter mischte sich bald mit Gepolter von der

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