Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
danach passiert war. Als ich fertig war, starrte mich Sunny mit weit aufgerissenen Augen an. „Er hat sich ohne Vollmond in einen Werwolf verwandelt? Das ist … das ist ziemlich beängstigend.“
„Kein Witz“, brummte ich. „Und nachdem du mich nach Hause gebracht hattest, träumte ich von … du weißt schon.“ Ich rieb mir den Hals – die Bisswunde war über die Jahre fast nicht mehr zu sehen, aber die Stelle kribbelte immer noch.
„Von Joshua“, sagte Sunny.
„Und jetzt muss ich nach dem Mädchen suchen, das in meinen neuen Fall verstrickt ist.“
Sunny schüttelte den Kopf. „Riskier ruhig weiter dein Leben, Luna. Eines Tages wird deine Glückssträhne ein Ende haben, und dann kannst du nur noch auf die Gnade der Allmächtigen hoffen.“
„Danke für die netten Worte“, bemerkte ich trocken. „Wirklich sehr hilfreich.“
Sunny zuckte mit den Schultern. „Ich gebe mein Bestes.“
7
Gegen Mitternacht verließ ich leise das Bett und zog mich für die Jagd in Ghosttown an, wo sich die falsche Adresse befinden sollte: abgetragene schwarze Jeans, schwarzer Baumwollpulli über das Trägerhemd und natürlich meine Bikerjacke. Ich schlüpfte in meine Stahlkappenstiefel und schnürte sie fest zu. Meine Haare band ich mir in einem engen Knoten im Nacken zusammen. Die Glock verstaute ich in einem Hüftholster, nicht wie sonst in der Schultertasche. Außerdem griff ich mir die schwere 38er mit dem kurzen Lauf, die mal meinem Vater gehört hatte. Ich wusste noch nicht mal, ob das Ding überhaupt noch funktionierte, aber allein das Wissen, dass sie in einem Miniholster an meinem Unterschenkel saß, beruhigte mich ungemein. Zum Schluss nahm ich meine Dienstmarke von der Lederhalterung ab und steckte sie tief in meine Jackentasche. In Ghosttown hatte es keinen großen Vorteil, gleich an der ersten Straßenecke als Cop erkannt zu werden.
Ich schlich mich so leise, wie es mit steifen Armeestiefeln eben möglich ist, aus dem Haus und startete den Motor des Fairlane. Es ging zwar kein Licht in Sunnys Zimmer an, aber ich konnte sehen, wie sich ihre Vorhänge bewegten. Ich winkte ihr kurz zu und fuhr los.
Auf dem Appleby Expressway sauste ich an den Wolkenkratzern Mainlines vorbei und konnte auf der einen Seite die glitzernde Siren Bay sehen und auf der anderen die schwarzen Hügel von Cedar Hill.
Vor dreißig Jahren hatte sich der Cedar-Hill-Killer an der gleichen Aussicht erfreut – bis ihn die Polizei von Nocturne City im Haus seiner Eltern in den Hills niederschoss. Und noch viel länger davor hatte Jeremiah Chopin – ein Flüchtling aus Missouri, der nicht mehr weglaufen wollte – auf dem Felsen über der Bay gestanden und hoffnungsvoll auf die kleine von ihm gegründete Siedlung geschaut, die einmal Nocturne City werden sollte.
Seine Vision für diese Stadt hatte sich erfüllt – Nocturne City wurde zu einem Zufluchtsort für Werwölfe, Hexen und alle die, die keinen Platz mehr hatten, an den sie hätten zurückkehren können. Aber am Ende waren sie es auch, die die Stadt während der Hex Riots in Stücke gerissen hatten.
Der Appleby erhob sich auf einer Brücke über die beidseitig der Straße stehenden Apartmentgebäude und führte dann in eine Gegend, in der Fabriken und Lagerhallen das Stadtbild bestimmten. Schließlich beleuchteten die Scheinwerfer des Fairlane ein rostiges Schild am Rand der Schnellstraße, auf das jemand per Hand geschrieben hatte: ACHTUNG – AUSFAHRT GESPERRT. Ich fuhr rechts ran, wobei ich durch ein paar Schlaglöcher unsanft auf den ramponierten Zustand der Straße aufmerksam gemacht wurde. Als ich hielt, waren im Scheinwerferlicht jede Menge Sträucher, zerbrochene Glasflaschen und andere, weniger leicht zu identifizierende Gegenstände zu sehen, und eine kleine Gestalt mit gelb funkelnden Augen huschte beim Anblick des Wagens rasch vom Seitenstreifen.
Ich zog das Funkgerät aus der Halterung am Armaturenbrett.
„Sechsundsiebzig hier, Zentrale, bitte kommen.“
Das Funkgerät rauschte einen Moment. Als plötzlich eine Stimme ertönte, zuckte ich zusammen.
„Hier Zentrale. Was gibt s, Sechsundsiebzig?“
„Verfolge eine Spur an Ausfahrt 43 des Appleby Express. Bitte protokollieren.“
Meine Gesprächspartnerin in der Zentrale musste neu in der Stadt sein, da sie, ohne zu zögern, antwortete: „Roger, Sechsundsiebzig. Seien Sie vorsichtig.“ Wenn man in Nocturne City aufgewachsen war, wusste man eigentlich, wohin die Ausfahrt 43 führte.
Das Funkgerät
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