Nocturne City 03 - Todeshunger
weiter, als es für Menschen oder Werwölfe natürlich war. Die Sehnen und Adern in seinem fast transparenten Oberkörper weiteten sich nun und seine Zunge zischelte schlangengleich aus seinem Mund. »Lass ihn sterben.«
»Nein!«, rief ich. Statt der entschlossenen Antwort einer Werwölfin war nur ein armseliges Quieken aus meinem Mund gekommen, das dem Kreischen einer Abschlussballkönigin in einem drittklassigen Horrorfilm ähnelte. »Lucas, lass uns von hier verschwinden. Er kann dir nichts mehr tun«, versuchte ich es noch einmal und wies dabei auf den noch immer am Boden sitzenden Donal, der uns gespannt anstarrte. Sein Atem war flach. Dem Anschein nach wartete er ab, wer aus den Auseinandersetzungen um sein Leben als Sieger hervorgehen würde. »Du hast es ihm gezeigt. Er wird dir nicht mehr weh …«
Weiter kam ich nicht mit meinem Appell, denn eine verschwitzte, blutverschmierte Hand presste mir Mund und Nase zu, während eine zweite mich am Hals in den Würgegriff nahm. Beide gehörten zu Donal, der plötzlich aufgesprungen war.
»Einen Schritt weiter, und ich mach sie kalt.« Lucas knurrte und kam auf uns zu. »Es ist mir verdammt ernst«, rief Donal und schüttelte mich wie eine Stoffpuppe. Wunderschöne rosa-schwarzfarbige Tunnel tauchten kaleidoskopartig vor meinen Augen auf, als er mir langsam die Luftzufuhr abdrehte.
»Du hast dir den falschen verdammten Scheißtag ausgesucht, um mich als Geisel zu nehmen!«, grollte ich und holte mit dem Fuß aus, um meinen Stiefelabsatz in seine zweifelsohne armseligen Weichteile zu rammen. Doch ehe ich dazu kam, lösten sich die Konturen von Lucas’ Körper bereits in einer Rauchwolke auf. Sowohl Donal als auch ich beobachteten mit weit aufgerissenen Augen, wie der nun fast vollständig transparente, rauchartige Körper durch die Luft auf uns zuschoss. Während seine Gliedmaßen und Konturen nicht mehr auszumachen waren, glänzten die messerscharfen Zähne und die hasserfüllten Augen umso deutlicher. Kaum war er bei uns, durchbohrten seine Klauen den Stoff meines Shirts und bohrten sich m meine Haut, um mich aus Donais Griff zu reißen. Dann hob ich ab und flog in hohem Bogen durch die Luft. Das Gefühl der Schwerelosigkeit verdrängte erst der Schmerz, der mich bei meiner Landung an der gegenüberliegenden Backsteinwand durchzuckte. Wie ein Gummiball prallte ich von ihr ab und landete mit einem geräuschvollen Knall auf dem Boden eines leeren Müllcontainers. Erst glaubte ich, taub oder tot zu sein, aber dann hörte ich Schreie.
Ich zog mich mit einer zitternden Hand auf die Beine, schaffte es, mich am Rand des Containers festzuhalten, und spähte hinaus. Donal war vor Lucas zurückgewichen und stand nun mit dem Rücken zur Wand. Er saß in der Falle. Lucas näherte sich ihm, wie Priscilla sich in der Gerichtsmedizin an mich angeschlichen hatte – den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Schultern hängend und auf dem Gesicht den Ausdruck eines unstillbaren Hungers. Donal konnte nur noch den Kopf schütteln, sodass sein grau meliertes kupferfarbenes Haar nur so durch die Luft flog. »Lass … lass mich in Ruhe … ich befehle es dir!«, stammelte er mit untertassengroßen Augen.
»Du befiehlst hier gar nichts mehr, du räudiger Straßenköter«, fauchte Lucas. Er ließ die Hand nach vorn schnellen und stieß seine fingerlangen Klauen direkt in Donais Brustkorb.
Als Lucas ihn aufspießte, begann der immer noch äußerst lebendige Donal zu zucken und zu schreien, während er sich im Griff des Wendigos wand.
»Du hast mir wehgetan, du Abschaum«, fauchte Lucas. »Dafür werde ich meinen Hunger an dir stillen.« In seiner Stimme lag nichts Böses. Nur eine Kälte, die wie eine feuchtkalte Brise zu mir herüberwehte, während ein dichter Nebel aufzog und für kleine Wassertropfen auf meiner Haut sorgte. Lucas’ Körper wurde indes von einem glänzenden Dunst eingehüllt, der sich langsam ausdehnte und zunehmend dunkler wurde, je mehr sein Bauch anschwoll. Offensichtlich sog er die Lebenskraft des War Wolfs durch seine furchtbaren Krallen in seinen eigenen Körper. Man sah, wie sie unter seiner Haut pulsierte. Obwohl ich die Szene nur beobachtete, fühlte es sich an wie bei der Berührung des Talismans: urtümlich, stumpf und so unglaublich stark, dass meine Knie nachgaben, als der Leiter in mir versuchte, die Umgebungsmagie zu absorbieren.
Doch dann unterbrach Donais Bodyguard das Tötungsritual des Wendigos. Wütend stürzte er sich auf Lucas und warf ihn
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