Nocturne City 03 - Todeshunger
die ihm nahestehenden Personen für gewöhnlich mitgenommener, als Sie es sind. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?« Bryson beugte sich vor und fixierte Laurel wie eine heißhungrige Bulldogge, die gerade ein saftiges Steak gewittert hat.
Mein Blick blieb an den Arbeitsflächen in der Küche hängen, auf denen sich neben ein paar orangefarbenen Medikamentenfläschchen und Katzenfutterdosen jede Menge leere Pizza- und Fertiggerichteschachteln stapelten.
Als Laurel schwieg, gab ich Bryson einen temperamentvollen Klaps auf die Schulter, um ihm einen Wechsel in der Gesprächsführung anzukündigen.
»Was soll das?«, grollte er, nachdem er vor Schreck zusammengezuckt war.
»Laurel …«, wandte ich mich an die junge Frau. »Ich darf Sie doch so nennen, oder?«
»Wie Sie wollen«, antwortete sie mit einem gleichgültigen Achselzucken.
»Laurel, könnte es sein, dass Sie sich nicht an die Polizei wandten, weil Bertrand Mitglied der Loups war?«
Sie ließ sich mit der Beantwortung Zeit. Meine Frage schien sie aus ihrer teilnahmslosen Stimmung gerissen zu haben, denn unerwartet leuchteten ihre Augen hellwach und musterten mich ausführlich. »Gebissen oder geboren?«
»Das spielt keine Rolle«, würgte ich ab, denn die wichtigste Regel bei solchen Gesprächen lautete, keine Ablenkung zuzulassen. »Belassen wir es einfach dabei, dass ich weiß, wie schwer man es als Außenseiterin in einem Rudel hat. Warum haben Sie Angst vor den Loups?«
Bryson starrte mich an und schien wieder die Gesprächsführung übernehmen zu wollen. Mit einem kaum hörbaren Grollen ließ ich meine Augen kurz golden aufblitzen, was er richtigerweise als Anweisung verstand, seine Klappe zu halten.
»Gerard Duvivier ist ein widerlicher Kerl«, murmelte Laurel, und zum ersten Mal lag eine Gefühlsregung in ihrer Stimme. »Aber Angst habe ich nicht vor ihm. Durch meine Arbeit in der psychiatrischen Abteilung bin ich einiges gewohnt. Der kann mich nicht aus der Fassung bringen.«
»Gut für Sie«, sagte ich. »Aber nun erklären Sie uns, warum Sie sich nicht gemeldet haben. Bertrand hat Ihnen doch etwas bedeutet, oder?«
Sie erbebte einmal wie eine angeschlagene Gitarrensaite, ehe sie wieder zu weinen begann. Sofort kramte Bryson ein mit seinen Initialen besticktes Taschentuch hervor, das vor dem Hintergrund der schmuddeligen Wohnungseinrichtung schneeweiß erschien. Laurel nahm es dankbar und vergrub ihr Gesicht weinend in dem Stoff.
»Ich … kannte ihn erst … seit ein paar Monaten«, presste sie unter Tränen hervor. »Aber er … ich denke, das zwischen uns hätte eine feste Beziehung werden können, wenn er nicht … wenn das alles nicht geschehen wäre.«
»Ich verstehe«, tröstete ich. »Es ist immer ein Schock, wenn
jemand unerwartet stirbt. Wie haben Sie davon erfahren? Haben die Loups Sie bedroht?«
»Nein«, entgegnete Laurel und rang nach Luft. »Ich war dabei, als es geschah.«
Bryson saß plötzlich kerzengerade in seinem Sessel, und auch ich spürte, wie sich mein Puls beschleunigte.
»Was?«, brachte Bryson hervor. »Was?«
»Ich war dabei«, sagte Laurel ausdruckslos. »Wir waren im Sierra Fuego Preserve zelten.«
»Warum sind Sie weggelaufen?«, fragte ich, woraufhin Laurel ihren Blick auf mich richtete.
»Sie wären auch weggelaufen, glauben Sie mir. Wie hätte das denn ausgesehen? Ein Mensch fährt mit einem Werwolf, dessen Rudel gerade vor einer großen Veränderung steht, zelten, und plötzlich ist der Werwolf tot. Man hätte mich doch direkt in eine Zelle gesteckt. Es wäre zu gefährlich gewesen, dazubleiben.«
»Aha …«, murmelte Bryson, während ich mich auf die Lehne seines Sessels setzte. Ich fragte: »Was meinen Sie mit dieser großen Veränderung bei den Loups?«
»Bertrand wollte Gerard herausfordern und die Führung der Loups übernehmen«, antwortete Laurel. »Er fand, er habe ein Anrecht darauf, weil seine Familie schon sehr lange in Nocturne ansässig ist.«
»Sehr interessante Geschichte, Miss Hicks«, wandte Bryson ein, »ich muss Sie aber trotzdem bitten, mit aufs Revier zu kommen, damit ich Ihre Aussage zu Protokoll nehmen kann.«
Sie sah mich an. »Nur, wenn sie mitkommt.«
»Hex noch mal«, murmelte Bryson kaum hörbar. »Na schön, in Ordnung. Wie steht s mit einem kleinen Besuch zu Hause?«
»Das 24. ist nicht mehr mein Zuhause«, entgegnete ich trocken. Auf ein Gastspiel in meiner einstigen Wirkungsstätte hatte ich etwa so viel Lust wie auf abendfüllende Heimatfilme.
»Bei den
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