Nocturne City 03 - Todeshunger
feststellte, dass ihn noch niemand benutzte, wusste ich nicht, ob ich mich freuen oder eher ärgern sollte.
Wortlos zog ich die Wurzel aus der Hosentasche und legte sie Bryson auf den Tisch.
»Das Ding stinkt«, sagte Bryson naserümpfend. »Schlimmer als ein Altherren-Deo.« Er hatte recht, aber damit hielt ich mich nicht auf.
»Es ist ein Talisman«, sagte ich, »der mit einem Schutzzauber belegt ist. Wogegen, weiß ich allerdings auch nicht.«
»Verstehe – und warum hast du ihn diesem Häufchen Elend in Menschengestalt geklaut?«
»Da er meiner Meinung nach nicht gegen Werwölfe, Bluthexen oder die üblichen Verdächtigen wirkt, will ich einfach herausfinden, wogegen sie sich damit zu schützen versucht.«
Bryson massierte einen Punkt zwischen seinen Augen. »Du machst mich fertig! Ich kann unmöglich reingehen und sie danach fragen. Hast du eine Vorstellung, was McAllister dazu sagen wird?«
Die Tür von McAllisters Büro war verschlossen. »Nichts«, antwortete ich erleichtert. »Er ist nämlich nicht da.«
»Egal«, sagte Bryson. »Ich werde ihre Aussage aufnehmen. Derweil kannst du einen Blick in die Akten der anderen drei Morde werfen. Aber untersteh dich, dich an meinen Keksen zu vergreifen!« Trotz seiner eindeutigen Ermahnung hielt Bryson es für sicherer, die Kekspackung im mittleren Fach seines Schreibtischs zu verstauen.
»Klar, ich helfe dir doch gern!«, rief ich und öffnete gleichzeitig die Schublade, um mir einen der Doppelkekse zu stibitzen. Er schmeckte wundervoll! Dann tat ich, als läse ich die Fallakten. Kaum war Bryson im Vernehmungsraum drei verschwunden, sprang ich auf, hastete den Flur hinunter und schlüpfte in den nikotinverpesteten Beobachtungsraum, um das Gespräch durch den Einwegspiegel zu verfolgen. Dort schaltete ich rasch die Lautsprecherboxen ein, über die man als Zuschauer die Vernehmung mitanhören konnte.
»Dann erzählen Sie mir jetzt bitte genau, was in dieser Nacht passiert ist, und lassen Sie nichts aus, Miss Hicks«, begann Bryson die Befragung.
Laurel zitterte bei jedem Wort aus Brysons Mund. Langsam schien die Wirkung von was auch immer sie genommen hatte nachzulassen. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen eine große Hilfe sein werde. Eigentlich habe ich nichts gesehen …«
»Erzählen Sie einfach, was passiert ist«, redete Bryson auf sie ein. »Ich weiß, es ist schwer, aber ich bitte Sie, Miss Hicks … Ihre Aussage könnte die erste brauchbare Spur in diesem Fall sein.«
»Was für eine Wandlung«, brummte ich lächelnd, während ich mir Schokocreme vom Daumen leckte. »Wer hätte geahnt, dass sich ein einfühlsamer Mensch unter den billigen Anzügen und der Pomade versteckt?«
»Gerard hatte Bertrand losgeschickt, um einen Typen auszuzahlen. Sie trafen sich an einer Raststätte am Highway 21. Ich musste im Wagen warten, weil Bertrand nicht wollte, dass ich etwas mit seinen Geschäften zu tun hatte. Zu diesem Treffen hatte er eine Pistole mitgenommen, obwohl er eigentlich nie eine Schusswaffe brauchte, weil er … nun …«
»Er brauchte keine Schusswaffe, weil er ein furchteinflößender Riesenwerwolf war«, beendete Bryson ihren Satz. »So viel habe ich schon mitbekommen. Gut, er bezahlt also diesen Typen – und dann?«
»Ahm. Danach war er schlecht gelaunt. Er sagte, Gerard sei ein Idiot, weil er die Abmachung, die das Rudel mit diesem Typen hatte, einfach so beendete, aber ich dachte mir nichts dabei, da er sich oft über Gerard aufregte, und bis wir im Naturschutzgebiet ankamen, hatte er sich beruhigt. Wir waren zelten … Bertrand liebte es zu zelten … im Sommer war er mindestens einmal im Monat draußen.«
»Ist Ihnen jemand gefolgt?«, fragte Bryson und spielte mit einer Büroklammer. »Hatte Bertrand Ärger mit dem Kerl, den er ausgezahlt hat?«
»Nein.« Laurel schüttelte den Kopf. »Irgendwann ist das Feuer ausgegangen …«, berichtete sie weiter und kämpfte wieder mit den Tränen. Nachdem sie ein Taschentuch genommen und sich einigermaßen beruhigt hatte, starrte sie wie versteinert geradeaus. Für einen Moment schien das Blinken an Brysons Digitalrekorder das einzige Zeichen von Leben in der Stille des Vernehmungsraums zu sein.
»Das Feuer ging aus«, drängte Bryson, »und?«
»Dann ging Bertrand los, um Holz zu suchen …«, wisperte Laurel und brach erneut ab. Schließlich forderte Bryson sie mit einer Geste zum Weiterreden auf. Laurel fuhr fort: »Er ist weggegangen, um neues Holz zu suchen. Die Pistole und die Taschenlampe
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