Nocturne City 03 - Todeshunger
alles eingetrichtert haben!«
Sunny ging voraus in ihren Lieblingsraum, die Küche, wo ich die Wurzel aus der Tasche zog und auf den Tisch warf.
»Es geht um das da«, fiel ich mit der Tür ins Haus, während meine Cousine selbst gebackene Kekse servierte und mir Eistee mit Zitrone anbot. »Danke, Sunny. Ich wüsste gern, was dieser Talisman bewirkt.«
Kaum hatte sie die Wurzel in die Hand genommen, ließ sie sie wieder fallen. »Bei meinem Spruchbuch! Das fühlt sich ja an, als tauche man seine Hand in heißes Wasser. Woher hast du das?«
»Von der Geliebten eines Mordopfers«, antwortete ich. »Ist es böse?«
»Nein«, sagte Sunny und sah das verkrümmte Ding unglücklich an. »Nur sehr stark. Durch dieses Ding fließt total wilde Magie, die meiner Meinung nach weder von einer Caster- noch von einer Bluthexe stammt.«
»Von wem dann? Gibt es noch andere Arten von Magie?«
Wortlos ging Sunny zum Nähkörbchen unserer Großmutter und holte eine Blechbüchse mit Stecknadeln hervor. »Du wirst Augen machen, wenn ich dir zeige, woher diese Magie stammt. Gib mir die Hand.«
»Warum?«, fragte ich misstrauisch.
Sunny nahm eine Nadel, griff meine Faust und öffnete sie. »Stell dich nicht so an!« Ohne Vorwarnung stach sie mit der Nadel in meine Fingerspitze und presste ein Blutströpfchen heraus. »Verdammt, Sunny!«, quiekte ich, sobald der Schmerz in meinem Hirn ankam.
»Halt still!«, blaffte sie und ließ etwas Blut auf die Wurzel tropfen.
Ein paar Augenblicke lang passierte gar nichts – nur mein Blut verteilte sich auf den dunklen Fasern der Wurzel und glänzte im Sonnenlicht. Doch plötzlich schrie sie auf und schlug immer wieder mit ungestümen Bewegungen auf den Tisch. Es schien, als fülle sie sich blitzartig mit Leben.
Als die Wurzel immer wilder herumwirbelte und das Gekreische so stark zunahm, dass es sich in ein schrilles Heulen verwandelte, sprangen Sunny und ich vom Tisch zurück. Wie gebannt starrten wir auf den furchterregenden Tanz des Talismans.
»Tu doch etwas!«, brüllte ich Sunny an, woraufhin sie zur Spüle rauschte und eine tiefe Bratpfanne mit kaltem Wasser füllte. »Los, schmeiß das Ding hier rein«, rief sie, als sie mit der Pfanne in der Hand auf mich zustürzte und dabei die Hälfte des Wassers auf dem Boden verteilte.
Als ich die Wurzel ergriff, versuchte mein Körper sofort, ihre Energie zu absorbieren, und ich spürte, wie sich die Magie des Talismans durch meine Haut zu fressen begann. Zum Glück konnte ich ihn rechtzeitig ins Wasser werfen. Als das Gekreische verstummt war, wurde ein anderes Geräusch hörbar: ein Hämmern an der Tür. »Was zum Teufel geht da drinnen vor?«, schrie Bryson.
»Alles in Ordnung!«, rief ich, obwohl ich mich fühlte, als hätte mir eine besonders bösartige Rentnerin gerade ihre Stricknadeln durchs Trommelfell gejagt.
»Lass mich rein!«, forderte Bryson.
»Sunny, pass auf das Ding auf. Wenn es sich bewegen sollte, schreist du, ja?« Sunny nickte, biss sich mit furchtsamer Miene auf die Lippe und tippte die Wurzel vorsichtig mit dem Finger an. »Gut!«
Als ich die Tür öffnete, sah ich in Brysons schweißtriefendes Gesicht. Seine Krawatte hing schief, und seine Wangen waren gerötet. »Wie süß von dir. Du hast dir Sorgen um mich gemacht.«
Sein Antlitz erglühte in knalligem Tomatenrot. »Unsinn.«
»Komm rein.« Ich trat zur Seite und winkte ihn in die Wohnung. Mit hochgezogenen Schultern und hölzernen Bewegungen trat er über die Schwelle. Es schien, als warte er nur darauf, dass meine Cousine auf einem Besen angeritten kam, um über ihn herzufallen.
»Luna?«, rief sie. »Ich glaube, ich habe es herausgefunden.«
»Gut, denn wenn du mir nur aus Spaß in den Finger gestochen hättest, wäre ich ziemlich sauer!«
Bryson folgte mir ins Wohnzimmer und sah sich dabei mehrfach argwöhnisch um. »Hör auf! Hier will dich niemand fressen!«, fauchte ich.
»Ich … es ist nur …« Er brauchte einen Moment, um seine Angst hinunterzuschlucken, bevor er Sunny mit einem verlegenen Lächeln begrüßte: »Schöne Wohnung haben Sie hier, äh … Frau Cousine, also, ich …«
»Wie schön, Sie wiederzusehen, David!«, sagte sie. Natürlich meinte sie es nicht so, denn Bryson ging ihr mindestens genauso auf die Nerven wie mir. Allerdings hatte mein Cousinchen die Fähigkeit, selbst den anstrengendsten Zeitgenossen nett und höflich zu begegnen – eine Gabe, die mir völlig fremd war, weil ich arbeitsbedingt ständig mit Leuten zu tun
Weitere Kostenlose Bücher