Nocturne City 03 - Todeshunger
hatte, die mir nach dem Leben trachteten.
»Ja«, sagte David mit reichlich dämlichem Gesichtsausdruck und vermied es tunlichst, Sunny in die Augen zu schauen. »Wilder, was treibst du eigentlich mit diesem Ding? Das ist Beweismaterial, verdammt!«
»Als Beweismaterial werden wir es wohl kaum verwenden können, Schlaumeier«, antwortete ich. »Wie du weißt, habe ich die Wurzel gestohlen …«
»Nun«, schaltete sich Sunny ein und warf mir wegen des Kommentars zur Herkunft der Wurzel einen missvergnügten Blick zu. »In der Wurzel steckt ein wenig eleganter, aber ungeheuer starker Zauber. Casterhexen versehen solche Talismane meist mit einem kunstvollen Abwehrzauber gegen ein bestimmtes Übel oder ein konkretes Wesen. Dieses Exemplar hier ist recht außergewöhnlich. Es wirkt in etwa, als würde man seine Haustür mit einem Stahlgitter verschweißen und zusätzlich eine Selbstschussanlage dahinter aufbauen.«
»Wenn das Ding wirklich so stark ist, frage ich mich, warum Luna noch quietschfidel neben uns steht«, gab Bryson zu bedenken, aber Sunny ließ sich durch seinen Kommentar nicht aus der Ruhe bringen und setzte ihre Erklärung fort:
»Fest steht, dass es nicht von Bluthexen stammt, schließlich hat es auf Lunas Blut reagiert und schien in ihm eine Bedrohung zu sehen …« Achselzuckend fügte sie hinzu: »Es scheint eine Art Wächter gegen das Böse zu sein. Viel mehr kann ich im Moment leider nicht dazu sagen.«
»Wirklich? Geht s eventuell noch ein bisschen unkonkreter?«, nörgelte Bryson und verdrehte die Augen, wofür ich ihm sofort einen kräftigen Tritt auf den Fuß versetzte.
»Geht’s eventuell auch ein bisschen freundlicher?«, fuhr ich ihn an und wandte mich dann an Sunny. »Das bringt uns nicht weiter. Wir müssten wissen, wovor die Frau Angst hat …«
»Aber das habe ich dir doch gerade gesagt: vor dem Bösen!«, fiel mir Sunny ins Wort. »Bei dem Zauber in der Wurzel handelt es sich um archaische schamanistische Magie, die auf Totemgeistern basiert und ihre Kraft aus Kristallen, Federn oder gar aus der Tierwelt bezieht. Sie reicht nicht nur weiter zurück als die Magie der Caster- und Bluthexen, sondern ist auch älter als alles andere, was ich kenne. Deshalb ist sie einerseits so simpel und andererseits so wirkungsvoll. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass diese Frau Angst vor etwas hat, das so böse und verschlagen sein muss, dass man, um Schaden von Leib und Leben abzuwenden, den mächtigen Zauber einer längst vergessenen Magieform braucht.« Mit einem besorgten Blick fügte sie hinzu: »An eurer Stelle würde ich mir ernsthafte Sorgen machen.«
»Immer optimistisch, was?«, entgegnete ich. »Meinetwegen kannst du dieses ›Beweismittel‹ gern behalten, ich kriege eh nur Migräne davon.«
»Sag mal, willst du mir nicht erklären, worum es bei der Sache eigentlich geht?« Bisher hatte ich Sunny immer von meinen Fällen erzählt, auch wenn es oft nicht legal gewesen war.
»Der Freund der Frau, der das Ding gehört, wurde ermordet«, sagte ich rasch, ehe sich Bryson mit dem Standardspruch zur Verschwiegenheitspflicht bei laufenden Ermittlungen zu Wort melden konnte. Sie hatte mir in der Vergangenheit oft geholfen, sich in große Gefahr begeben und sogar ihr Leben für mich riskiert. Nicht zuletzt deshalb verdiente sie mein bedingungsloses Vertrauen. »Es geschah in einem Naturschutzgebiet. Nachdem er sein Opfer aus nächster Nähe erschossen hatte, ist der Killer auf wundersame Weise in einer Nebelwand verschwunden, die laut Zeugenberichten aus dem Nichts aufgetaucht ist. Wir nehmen an, es handelt sich um einen Auftragsmord, den ein … nun ja, ein menschlicher Killer oder ein nicht ganz so menschliches Etwas ausgeführt hat.«
»Das ist ja abscheulich!«, seufzte Sunny. »Ich wünschte, ich könnte euch mehr sagen, aber es gibt zu viele Möglichkeiten. Für diese Art Magie braucht man keine formale Ausbildung, sondern einfach nur eine gewisse Begabung und den Willen, dieses Talent zu nutzen. Es existieren unzählige Sekten und Abspaltungen, die in Frage kämen, angefangen bei den Hexenzirkeln über praktizierende Anhänger von Naturreligionen bis hin zu …«
»Gut, gut, ich glaube, wir haben verstanden«, unterbrach ich sie. »Dann werden wir mit dem arbeiten müssen, was wir haben. Danke, Sunny.« Ich hasste es, mit dem arbeiten zu müssen, was ich hatte. Es war, als liefe ich in einem dunklen Raum umher und stieße mir bei der Suche nach dem Lichtschalter dauernd die
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