Nocturne City 03 - Todeshunger
heimlich in den Rückspiegel schauen zu können. Ich prägte mir Nummernschild und Gesicht des Fahrers hinter uns ein.
»Was?«, brummelte er.
»Möglicherweise interessiert dich, dass uns jemand folgt.«
»Hex noch mal«, murmelte er und drehte sich um. Zum Glück konnte ich das mit einem Klaps auf seinen Hinterkopf und den Worten »Jetzt nicht!« verhindern.
»Beruhige dich. Wir können nichts dagegen tun. Höchstwahrscheinlich will er nur sehen, was wir vorhaben.« Als wir die Spur wechselten, streifte unser Verfolger fast einen SUV, um uns nicht aus den Augen zu verlieren. Mit erhobener Faust drohte er dessen Fahrer.
»Schöner Schlamassel!«, fluchte Bryson mit einem Blick in den Rückspiegel und schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. »Einer dieser gottverdammten Werwölfe, stimmt s?«
»Gut geraten«, antwortete ich gelassen. Donal schien doch nicht so viel Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben, wie er vorgab. Schade.
Ich lotste Bryson zum Haus meiner Großmama, und wir parkten den Wagen auf der Straßenseite gegenüber. Ganz in der Nähe lag die alte Bastion, die seit zwei Jahrhunderten dem Ansturm des Pazifiks trotzte und dem Strand seinen Namen beschert hatte.
»Was soll das?«, wollte Bryson wissen. »Hat dich jemand zu Kaffee und Kuchen eingeladen, oder was haben wir hier zu suchen?«
»Meine Cousine Sunny wohnt hier«, entgegnete ich. Dass Sunny im Haus meiner schrulligen Großmutter lebte, die an guten Tagen nicht mit mir sprach und mich an schlechten grundlos hasste, erzählte ich Bryson lieber nicht – so schonte ich sowohl seine als auch meine Nerven.
»Cousine, aha … und?«
»Sie ist eine Hexe und kann mir höchstwahrscheinlich sagen, was es mit der Wurzel aus Laurel Hicks’ Wohnung auf sich hat«, erklärte ich. Als Bryson bei dem Wort »Hexe« fast die Augen aus dem Gesicht fielen, fügte ich hinzu: »Vielleicht wartest du besser im Wagen.«
»Ganz schöne Freak-Familie, die du da hast, Wilder«, brummelte er, setzte seine Sonnenbrille auf und klappte die Lehne des Fahrersitzes zurück, um es sich bequem zu machen.
»Womit du ausnahmsweise mal recht hast …«, entgegnete ich und ging über die Straße zum Haus meiner Großmutter, in dessen offener Garage Sunnys kleines Cabrio stand. Sachte klopfte ich an.
Sie öffnete quiekend die Tür. »Luna!«
»Hallo, Sunny« Ich lächelte. »Ist Rhoda da?«
»Keine Angst, sie ist in Cabo auf einem Brujeria-Treffen oder so was«, antwortete sie und verdrehte die Augen. »Ich habe nicht weiter gefragt; solche Veranstaltungen sind nicht mein Ding.« Sie warf einen Blick auf Brysons Wagen. »Wer ist denn der? Sieht aus wie von den Zeugen Jehovas.«
Als ich Sunnys Blick folgte, sah ich, wie Bryson sich gerade genüsslich räkelte und einen Rülpser ausstieß, der laut genug war, dass wir ihn durchs geschlossene Fenster hören konnten. »Das …«, begann ich zögerlich, während ich mit den Fingern meine Schläfen massierte, »… ist David Bryson. Ich werde ihm dein Kompliment ausrichten.«
Sunny blinzelte ein paarmal mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen. »Ich frage dich wohl besser gar nicht erst, warum du ausgerechnet mit dem Mann durch die Gegend fährst, den du mal als – ich zitiere – ›mein persönliches Kryptonit‹ beschrieben hast.«
»Das ist höchstwahrscheinlich eine gute Idee«, sagte ich. »Pass auf, mir ist da etwas in die Hände geraten, das du in Augenschein nehmen musst. Es ist ziemlich bedeutsam.«
»Dann komm rein«, forderte sie mich strahlend auf. »Ich verspreche auch, mit keiner Silbe zu erwähnen, dass du immer nur kommst, wenn du etwas brauchst.«
»Das ist nicht wahr«, widersprach ich. »Erst vor zwei Wochen habe ich mir vier Stunden lang Jane-Austen-Filme mit dir angeschaut. Das war die reinste Folter, aber ich habe es dir zuliebe ausgehalten. Meiner Rechnung nach schuldest du mir dafür einen Gefallen! Eigentlich eher zwei.«
»Tu nicht so, Luna, alle Frauen lieben Mr Darcy!«
»Mr Darcy ist nur ein Kunstprodukt, das einzig als Projektionsfläche für unerfülltes Verlangen dient. Vergleicht man die eigenen Partneroptionen in der wirklichen Welt mit diesem idealisierten Fantasiegebilde, dann bleibt nichts weiter als blanke Verzweiflung.«
Sunny warf mir einen besorgten Blick zu, als sie die Tür hinter mir schloss. »Manchmal machst du mir Angst, Luna.«
»Ja, es erschreckt mich auch immer wieder, was sie mir trotz mangelnder Anwesenheit und fehlenden Interesses in der Highschool
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