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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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kursierten Gerüchte, dass in Südrussland Hunderttausende gefallen seien, weit mehr als seinerzeit im jugoslawischen Partisanenkrieg.
    Aber am Ukonjärvi ließ man sich nicht beirren. Die Zimmerleute, die während Eemelis Haft den Ort verlassen hatten, wurden umgehend zurückgeholt. Im Mai war wieder ein halbes Dutzend Fachkräfte beisammen. Eemeli ernannte Severi Horttanainen zum Vorarbeiter.
    Zunächst machte man sich daran, Ocker für den Anstrich der Kirche zu kochen. Horttanainen kannte das Rezept: Eisenvitriol, Heringssalzwasser, grobes Roggenmehl, kochendes Wasser. Die Zutaten wurden neben der Kirche in einem großen Kessel erhitzt, unter dem ein gleichmäßiges Feuer gehalten wurde. Es kam auf Genauigkeit an, die Flüssigkeit durfte nicht anbrennen, aber auch nicht zu stark abkühlen. Um die nötige Konsistenz zu erhalten, brauchte man Übung und Erfahrung. Es wurden jeweils hundert Liter auf einmal gekocht, damit konnte man dann zwei Tage lang pinseln. Insgesamt wurden sechshundert Liter Ocker für die Außenwände der Kirche verarbeitet. Die Fensterrahmen und die Dachrinnen wurden weiß gestrichen, die Fensterkreuze schwarz, ebenso die Eingangstür und die Fensterluken des Dachreiters.
    Als der Gehilfe Taneli Heikura den Dachreiter anstrich, konnte er sich nicht verkneifen, ein paarmal den Glockenstrang zu ziehen, obwohl es verboten war, außer der Reihe zu läuten. Als die anderen Arbeiter hinaufkletterten, um ihn davon abzubringen, versuchte er durch die Luke des Dachreiters zu entkommen. Er balancierte über den First, kam bis ans Ende des Westkreuzes, wo es nicht weiterging. Nun versuchte er, sich an den glatten Schindeln hinunterzulassen, um über die Dachrinne auf das Malergerüst zu gelangen, doch seine Hand glitt aus und er rutschte mit immer schnellerer Geschwindigkeit am Kirchendach hinab. Begleitet von einem ratternden Geräusch und mit ein paar herausgerissenen Schindeln in den Händen, sauste er nach unten. Die Dachrinne, an die er sich in seiner Not klammerte, bremste seinen Fall ein wenig. Ein Stück von mehreren Metern riss ab, der Bursche hielt es in den Armen, während er laut schreiend seinen Flug fortsetzte, bis er schließlich neben der Kirche auf dem Boden aufschlug. Die Arbeiter und die anwesenden Frauen rannten entsetzt herbei, um zu sehen, was ihm passiert war. Als Erste traf, vom Ockerkessel kommend, Henna Toropainen bei ihm ein, sie barg den Kopf des leblos daliegenden Burschen in ihren Armen und sagte erschüttert:
    »Taneli, stirb nicht, was soll aus unserem Baby werden…«
    Aus dem Mund des Gehilfen floss Blut. Man tastete seine Knochen ab und stellte fest, dass sie nicht gebrochen waren. Ein paar Rippen waren offenbar nach innen gedrückt. Nach einer Weile kam der junge Mann zu sich. Er sah sich verwundert um. In Hennas mütterlicher Umarmung fühlte er sich einigermaßen wohl.
    Das Unfallopfer wurde umgehend ins Pfarrhaus getragen und ins Bett gelegt. Man umwickelte seinen Oberkörper fest mit einem feuchten Laken und gab ihm Wasser und einen Schluck Schnaps zu trinken. Henna blieb bei ihm, um ihn zu betreuen.
    Nach diesem bedrohlichen Vorfall wussten alle, wer in Wirklichkeit der Vater von Hennas Baby war. Es gab keine größeren Diskussionen darüber. Eemeli Toropainen verkündete kurz und knapp, dass der Gehilfe, sowie es ihm besser gehe und er wieder zu Kräften komme, mit Henna und dem Baby zum Hiidenvaara ziehen solle. Dort könne er für seine Familie ein eigenes Haus bauen. Horttanainen und die anderen Männer würden ihm behilflich sein.
    »Die Stiftung finanziert das Baumaterial«, versprach Eemeli. Wie dem auch sei, die Kirche wurde angestrichen, ebenso das Pfarrhaus, Letzteres in Gelb. Diese Farbe zeugt in Finnland traditionell von einer gewissen Vornehmheit, und so wirkte das Pfarrhaus, als es seinen Anstrich bekommen hatte, denn auch fast wie ein Herrenhaus.
    Die Blockhaussiedlung am Hiidenvaara wurde erweitert, und die meisten Hütten bekamen eine Bretterverschalung und wurden rot gestrichen. Inmitten der üppigen sommerlichen Natur bot der Berghang mit dem roten Minidorf, das sich im See spiegelte, einen außerordentlich hübschen Anblick.
    Nun gab es rote Hütten, was noch fehlte, waren Kartoffeläcker. Die Grünen hatten sich darauf beschränkt, Kräuter und, in geringen Mengen, Hackfrüchte anzubauen. Ihnen leuchtete partout nicht ein, dass der Mensch nicht ohne Kartoffeln auskam. Außerdem hatte man bisher bei Bedarf Kartoffeln im Laden kaufen können.

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