Nördlich des Weltuntergangs
dachte schon, sie behalten dich für immer da.«
Severi trug keine Kutte, sondern ganz normale Arbeitskleidung: Arbeitshose, Pullover und Gummistiefel, auf dem Kopf eine Pelzmütze. Ihn hatte die Diplom-Benimmse mit ihrer neuen Sekte nicht beeindruckt. Er war eben ein waschechter finnischer Mann.
»Komm mit, wir fahren zum Ukonjärvi«, sagte Eemeli entschlossen.
»Du willst die Kirche räumen, oder?«
»Das will ich.«
In leichtem Trab ging es heimwärts.
Noch am selben Tag machte sich Eemeli zusammen mit Severi Horttanainen und dem Gehilfen daran, die Einödkirche am Ukonjärvi von dem Pack zu befreien, das sich darin eingenistet hatte, von geldgierigen Benimmsen und ihren Sektenanhängern. Die Widerspenstigsten mussten regelrecht hinausgeprügelt werden. Hauptpriesterin Soile-Helinä Tussurainen wurde in den Schlitten gesetzt und zur Brücke am Pöllösenpuro gebracht, wo es ihr gelang, ihren Wächtern zu entkommen. Sie rannte zum Waldrand und kletterte auf eine hohe Kiefer. Als sie den Wipfel erreicht hatte, veranstaltete sie eine eindrucksvolle Demonstration: Sie entledigte sich sämtlicher Kleidungsstücke und warf sie nach unten. Zum Glück herrschte kein strenger Frost. Man versuchte vergeblich, sie zum Herunterkommen zu bewegen. Erst als Severi Horttanainen die Motorsäge holte und Anstalten machte, die Kiefer zu fällen, stieg die Diplom-Benimmse herunter. Man steckte sie in eine Kutte und setzte sie zusammen mit ihren engsten Gesinnungsgenossen in ein Taxi. Die Flut von wüsten Drohungen und Beschimpfungen, die sie ausstieß, endete erst, als Severi Horttanainen die Tür hinter ihr zuknallte. Der Gehilfe Taneli Heikura blieb auf der Brücke, um aufzupassen, dass das Sektenvolk nicht zurückkehrte. Seine Lakaienuniform hatte er wieder gegen seine frühere gewohnte Kleidung eingetauscht.
Eemeli kehrte ins Pfarrhaus zurück. Er wies seine Leute an, die langen Mäntel und Kutten abzulegen und wieder zur normalen Kleiderordnung zurückzukehren. Die geistliche Literatur sollte auf den Dachboden geschafft werden. Gleich am nächsten Tag würde man mit der Arbeit beginnen, und genau diese Botschaft sollte auch den Grünen am Hiidenvaara überbracht werden.
»Jetzt ist Schluss mit Faulenzen.«
14
Eemeli beklagte gegenüber Severi Horttanainen, dass gleich alles den Bach runterging, wenn man mal drei Jahre nicht vor Ort war. Aber jetzt würde schleunigst die Ordnung wiederhergestellt. Drei Jahre lang hatten sich alle ausgeruht, jetzt hieß es, die Ärmel hochkrempeln. Man musste die Kirche und das Pfarrhaus anstreichen und weitere Häuser bauen. Die Leute wohnten inzwischen einfach zu beengt.
»Aber woher willst du das Geld nehmen?«, fragte Severi Horttanainen.
Eemeli verriet ihm, dass die Stiftung durchaus nicht mittellos sei. Die Diplom-Benimmse sei nicht an das Geld gekommen, da niemand ohne seine Vollmacht das Bankkonto plündern durfte.
Eemeli berichtete ferner, dass er den Scheck der Amerikaner über einhunderttausend Dollar habe retten können; er habe ihn bereits in Dänemark eingelöst und das Geld auf das Konto der Stiftung überwiesen, wo es sicher aufgehoben sei.
»Geld ist da, keine Sorge. Wir könnten es uns sogar leisten, eine eigene kleine Landgemeinde zu gründen. Wir sind die wohlhabendste Siedlung in der Kommune Sotkamo.«
Offensichtlich war es in der Gegend um Ukonjärvi in finanzieller Hinsicht gut bestellt. In der übrigen Welt sah das ganz anders aus. Die Währung der EU war schon vor einiger Zeit verfallen, ausgelöst durch die Rezession in Deutschland. Der Yen war gefolgt, ebenso die kleineren Währungen. Außergewöhnliche ökonomische Schutzmechanismen waren entwickelt worden, zum Beispiel konnten private Bankkonten an die Goldwährung gekoppelt werden, was zwar den Verzicht auf Zinsen, dafür aber garantierten Inflationsschutz bedeutete. Die Unglücklichen, deren Geld nicht durch die Goldwährung gesichert war, waren inzwischen verarmt: Über siebzig Prozent des Geldwertes hatte sich verflüchtigt.
In Europa und in der übrigen Welt zogen Millionen von mittel- und arbeitslosen Menschen umher, Finnland befand sich nicht allein in der Krise. Zu allem Überfluss wurden in den Südteilen Russlands zahlreiche Kriege geführt, und das schon seit Jahren. Presse, Rundfunk und Fernsehen brachten eine Kriegsmeldung nach der anderen. Obwohl es angeblich keine offizielle Zensur gab, wurde vieles in den Medien verharmlost und bemäntelt, damit im Volk keine Unruhe entstand. Es
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